People | 04.11.2022
Ich träume immer weiter
Text: Hedi Grager • Fotos: Thomas Luef, beigestellt • Styling und Make-up: Sophie Semlitsch
Sara von Kieneggers preisgekrönte Kunstinstallation „Fallen Stars“ öffnete ihr viele Türen. „Wie der Titel schon sagt, waren es Menschen, die Einfluss hatten, ihr Leben feierten, aber auch daran zugrunde gegangen sind.“ Viel Zuspruch bekam die Künstlerin für ihre Projekte „Victims of War“ und „Faces of the Middle East“. Mit diesen Porträts von Opfern des Syrien-Krieges in Fotografie und abstrakter Malerei wollte sie wachrütteln, erzählt die attraktive Steirerin, die immer schon eine soziale Ader hatte und sich für Menschenrechte einsetzt – auch wenn sie sich dabei selbst in Gefahr bringt. „Ich habe Explosionen ganz nahe gesehen, als ich diese Bilder machte.“
„Ich würde für etwas, wofür ich stehe, mit meiner Meinung nie hinter dem Berg halten.“
Sara von Kienegger
Angst kennt Sara keine, weder vor Shitstorms noch vor echten Gefahren. „Ich würde für etwas, wofür ich stehe, mit meiner Meinung nie hinter dem Berg halten.“ Auch in Kriegsgebieten war sie relativ angstfrei unterwegs. „Ich bin so, ich weiß nicht warum“, schmunzelt sie, „wenn mich etwas ängstigt, stelle ich mich dem. Ich hatte beispielsweise Panik vor dem Unter-Wasser-Sein, deshalb begann ich mit 16 Jahren zu surfen. Gegen meine Angst vor Haien machte ich den Scuba-Diving-Schein. Ich laufe in alles, wovor ich Angst habe, absichtlich rein, um mich so der Angst zu stellen. Und es funktioniert.“
Sara wuchs in einer sehr liebevollen und traditionellen Familie in Graz auf und lebt jetzt in London. „Da mein Vater aus der Türkei kommt, bin ich zwischen zwei tollen Kulturen groß geworden.“ Ihr malerisches Talent entdeckten und förderten ihre Mutter und Großmutter schon sehr früh. Nach Absolvierung der Ortweinschule ging es für sie erst nach Dubai, wo sie als Art Director das Branding und die Corporate Identity führender Unternehmen entwickelte, bevor sie nach New York zog. Allerdings vermisste sie ihre Familie sehr und entschied sich deshalb für ein Leben im näheren London.
Kunst, Natur und Film
„Kunst ist für mich die feine Linie zwischen Wahnsinn und Genie“, so Sara. „Sie soll aus den alltäglichen Problemen reißen oder einfach zum Nachdenken anregen. Jeden Moment des Lebens reflektiert meine Kunst. Egal in welchem Land ich bin, ich denke, dies alles spiegelt sich in meinen Malereien.“ Aus ihrer Kunst schöpft sie Kraft und Energie wie auch aus der Natur und Sport.
Die Zeit der Pandemie nutzte Sara zum Schreiben und Entwickeln von Ideen für ihren Film „Chainbreaker by motion picture house“. „Darin geht es um das Thema Süchte“, begeistert sich Sara, „wie Spielsucht, Drogensucht, Sexsucht, Social-Media-Sucht und mehr. Große Themen während Corona, wo einem das Leben ‚weggenommen‘ wurde. Wie schön wäre es, wenn es ein Mittel gegen Sucht gäbe – und in unserem Film, der ein bisschen wie ein James Bond aufgezogen ist, gibt es eines.“ Besonders wichtig ist ihr, die Social-Media-Sucht anzusprechen. „Ich bin total ‚anti-social-media‘. Es ist zwar ein gutes System, aber mit leider zu vielen Fake-Informationen und fotogeshoppten Bildern – und zu viele Menschen glauben alles, was sie lesen und sehen.“
Es empört sie, dass ein TikToker wie Andrew Tate mit Millionen an Followern sagt, dass Frauen ins Haus gehören, nicht Auto fahren dürfen und Eigentum eines Mannes sind. „Er ist auch der Meinung, dass Vergewaltigungsopfer selbst die Verantwortung tragen. Es ist so fürchterlich, was das mit jungen Menschen macht, und so extrem gegen die #metoo-Bewegung.“ Er wurde inzwischen übrigens von sämtlichen Social-Media-Kanälen gesperrt. In ihrer Jugend war „American History X“ von Regisseur Tony Kaye – ein Filmdrama, das sich mit der US-amerikanischen Neonazi-Szene beschäftigt – einer ihrer Lieblingsfilme. „Als Kaye mich einmal fragte, warum ich auch Schauspielerin werden will, hatte ich darauf keine Antwort. Er sagte mir dann: ‚Du musst anderen Leuten helfen, das ist der Sinn hinter allem. Wenn du mit dem Herzen dabei bist und etwas Gutes tun möchtest, dann wird es etwas Gutes werden und dann wirst du erfolgreich.‘ Er war mein Mentor, hat mir damit den Weg gezeigt und ich bekam die Lust auf Film“, erklärt Sara. Ihr erster Film „Tremendium“ behandelte das Thema #metoo. Die aktuelle Mini-Serie „Chainbreaker“ mit 6 Episoden wird im kommenden Jahr auf Netflix gezeigt werden. Dabei fungiert Sara als Autorin, Produzentin und spielt auch selbst mit. Auf ihre Kreativitätsvielfalt angesprochen, lacht sie: „Ich lebe mich aus. Das Wichtigste ist, immer Neues zu entwickeln und auch sich selbst weiterzuentwickeln. Das ist das Ziel.“ Das Malen wird ihr aber immer bleiben, denn „das Malen ist für mich kein Beruf, sondern nach wie vor ein geliebtes Hobby. Ich male, wenn es mir nicht gut geht, und auch, wenn es mir sehr gut geht“, lächelt sie. „Und dann gibt es wieder Pausen, in denen ich gar nicht male.“
Aktuell pendelt sie aus familiären Gründen zwischen der Steiermark und Dreharbeiten in London. Auf einen Wunsch angesprochen, meint sie: „Das Schönste für mich wäre, in einem Land wie Nicaragua zu sein, zu surfen und Yoga zu machen.“ Aber erst kommt vielleicht noch eine Ausstellung in der Steiermark.