People | 05.08.2022
Tanz versus Krieg
Ein Krieg, der seit 8 Jahren wütet, hat im Februar seinen Höhepunkt erreicht. Unfassbar schauen wir von außen zu, wie die Kultur eines ganzen Landes Stück für Stück zerstört wird. Wir haben Angst – was wir nur von fernen Ländern kennen, trifft uns nun persönlich: Es ist viel zu nah. Was in der Ukraine tagtäglich geschieht, ist ein grausames Verbrechen gegen die Menschheit. Die Tänzerinnen Diana und Mira hatten das Glück, gemeinsam mit vier anderen Tänzerinnen in Graz Zuflucht gefunden zu haben. Als Performerinnen am internationalen Tanztheaterfestival dürfen sie auf unbestimmte Zeit bleiben. Wir haben sie eingeladen, ihre Gedanken und Emotionen mit uns zu teilen.
Diana hat mit ihrer Familie 45 Tage lang in einer U-Bahn-Station in Kiew Schutz gesucht. © beigestellt
Diana: Wir kommen von verschiedenen Orten, aber mit einem gemeinsamen Ziel. Wir möchten unsere Gefühle und Visionen über den Krieg in Kunst und Tanz zum Ausdruck bringen.
Mira: Es ist unheimlich, in der Ukraine zu bleiben. Ich war die ersten zwei Monate des Krieges noch dort.
Diana: Ich war 45 Tage lang in einer U-Bahn-Station. Dort hörte man keine Schüsse. Aber ich hatte ständig Angst, dass jemand Bomben mit nach unten nehmen könnte. Diese Angst war für uns sehr real. Menschen fragen mich, wie ich es so lange dort ausgehalten habe. Mir ging es gut – mein einziges Ziel war es, zu überleben. Alles, was sonst Alltag für uns bedeutete, war nicht mehr wichtig.
Mira: Vagda, eine Tänzerin von uns, versteckte sich mit sieben Erwachsenen und zwei Kindern in einem kleinen Keller. Das ist richtig hart und nicht sicher: Wenn das Haus zerstört wird, kommt man nicht mehr raus. Viele flohen in den Westen, weil sie dachten, so könnten sie dem Krieg entkommen. Dann hat Russland die Straßen bombardiert.
Diana: Erst dachten wir, dass Russland nur militärische Anlagen bombardieren würde – aber sie zerstören unsere ganze Infrastruktur, Städte wie Dörfer. Russische Propaganda versucht uns einzureden, dass unser eigenes Militär uns angreift.
Mira: Meine Familie und ich versteckten uns in Tiefgaragen. Mitten im Winter waren wir froh, wenn wir morgens aufwachten und nicht erfroren waren. Meine Oma verbrachte zwei Monate unter ständigem Bombenbeschuss in einem Keller, bevor sie fliehen konnte. Mein Onkel und seine Familie sind immer noch dort. Wir warten jeden Tag auf einen Anruf – damit er uns sagt, ob sie noch leben.
Diana: Wir haben erkannt, dass unsere Talente anderswo nützlicher sind, um die Menschen in Europa daran zu erinnern, dass der Krieg weiter besteht. Da ist die Angst, dass wenn Russland gewinnt, auch andere europäische Länder angegriffen werden. Wir kämpfen um die Unabhängigkeit der Ukraine – und damit auch um die Unabhängigkeit der diplomatischen Welt.
Mira: Die mentale Gesundheit und ein positives Mindset sind enorm wichtig, um die Situation zu verkraften. Für uns außerhalb der Ukraine ist das viel einfacher. Aber die vielen Menschen in besetzten Gebieten sind ständiger Gewalt ausgesetzt. So viele Frauen werden vergewaltigt, oft vor den Augen ihrer Kinder. Im Krieg ist aber kein Platz für psychologische Hilfe. Wir müssen selbst lernen, mit unseren Traumata umzugehen.
Mira: Wir sind hierhergekommen, um zu überleben. Um nicht zehn Mal täglich die Sirenen zu hören, jedes Mal in Deckung gehen zu müssen. Alles, was unserem Land hilft, den Krieg zu gewinnen, werden wir tun. Für uns als Tänzerinnen ist das Beste, was wir tun können, den Menschen in Österreich mit unserer Kunst zu zeigen, wie es uns geht, was zu Hause passiert.
Diana: Es ist schwer zu erklären, wie das menschliche Gehirn funktioniert, wenn man unter großem Stress steht. Einerseits können wir lachen und über normale Dinge reden, während bei unseren Familien grauenvolle Dinge passieren. Wenn wir davon hören, weinen wir für Stunden. Es ist immer noch Krieg, unsere Bekannten sind alle nicht sicher. Aber wir müssen Hoffnung auf Normalität geben.
Mira: Wir machen Witze über den Krieg. Das hilft uns, nicht verrückt zu werden. Einen Tag lachen wir, freuen uns, dass wir in diesem schönen Land sein dürfen. Am nächsten Tag denken wir daran, dass unsere Familie immer noch in Kellern sitzen. Der Krieg ist so normal geworden. In unseren Performances zeigen wir, dass wir uns nicht an ihn gewöhnen sollten, dass er eben nicht normal ist.
Diana: Und betonen, wie wichtig es gerade jetzt ist, zusammenzuhalten.
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