People | 31.05.2022
Genau hinschauen
Text Stephanie Gaberle Foto © factinsect, Erwin Scheriau
Wir alle holen unsere Informationen aus dem Internet – manche mehr, andere weniger. Unerlässlich ist es daher, sich damit zu beschäftigen, ob sie auch verifizierbar sind. Facebook und Co. nutzen Algorithmen, die auf Emotionen beruhen, nicht auf der Wertigkeit von Informationen. So landen Menschen in einer Spirale aus irreführenden oder völlig falschen Meldungen, aus der sie nur schwer wieder herausfinden. Und hier kommt fact-insect ins Spiel: Die Software-Entwicklerin und Expertin für künstliche Intelligenz Romana Dorfer hilft uns, uns in der Flut an Infos zurechtzufinden. Sie hat das Tool factinsect programmiert, das sie gemeinsam mit Medienwissenschaftlerin Silja Kempinger betreibt – eine nutzbringende Fusion aus Expertisen und Ressourcen der beiden Frauen. Wie Dorfer auf die Idee dazu gekommen ist? „Ich habe mich 2015 erstmals intensiver mit dem Thema Fake News beschäftigt“, erzählt sie. In der Geflüchtetenkrise habe ein Bekannter eine Facebook-Gruppe angelegt und sei schockiert gewesen, wie schnell hier Fake News verbreitet wurden. „Aus dem Kontext gerissene Meldungen, Fake-Profile, die angelegt werden, um Stimmung für oder gegen bestimmte Themen zu machen – und die User lassen sich so leicht davon manipulieren.“ Damals sei Dorfer bewusst geworden, wie viel leichter es Menschen fällt, ihre vorgefertigte Meinung bestätigen zu lassen, anstatt nach der Qualität zu gehen und ihre Quellen zu hinterfragen. Diese Sache ließ ihr keine Ruhe mehr. „Ich dachte mir: Kann man da nicht irgendwas machen, dass sowas nicht mehr so einfach möglich ist?“ Umfragen und Interviews waren die Folge. „Ich wollte wissen, was genau das Problem mit Fake News ist und was eine gute Lösung wäre. Viele Menschen wollen verstehen, warum etwas falsch oder richtig ist und wie sie sich selbst sicherer sein können.“ So war die Idee zu factinsect geboren und im Jahr 2019 wurde offiziell mit der Entwicklung begonnen.
Halbstündige Updates.
Aber wie genau funktioniert so ein Faktencheck eigentlich? Die Wissenschaftlerin erklärt es uns so: Hat man einen Artikel gefunden, dessen Richtigkeit überprüft werden soll, lässt man ihn durch das factinsect-System laufen. Dieses wird jede halbe Stunde mit einer Liste vertrauenswürdiger österreichischer Nachrichtenquellen gefüttert, die dann in der Datenbank gespeichert werden. Im nächsten Schritt sucht die künstliche Intelligenz nach ähnlichen Aussagen zu jenen im Artikel und im letzten Schritt wird berechnet, ob die Aussagen darin auch von anderen Quellen bestätigt oder widerlegt wurden. „Dann sieht man auch schön, welche Abschnitte bestätigt werden konnten – und welche nicht.“ Zu diesem Zwecke werden nur ausgewählte Qualitätsmedien herangezogen, die dem Ehrenkodex der österreichischen Presse folgen. „Natürlich kann es sein, dass gewisse News von keiner Zeitung bestätigt wurden, die wir gespeichert haben. Das muss dann nicht zwingend falsch sein, es heißt, dass wir noch nix dazu gefunden haben.“ Die factinsect-Initiatorin möchte daran appellieren, manuell weiterzurecherchieren, und so einen vorsichtigeren Umgang mit Informationen anregen. Damit hat sie eine große Bedarfslücke in der Onlinewelt gefunden, denn Fake News sei ein weitläufiger Begriff. Nicht nur völlig falsche Aussagen seien damit gemeint, sondern auch irreführende Informationen – das sei in der aktuellen Pandemie tagtäglich deutlich geworden.
Romana Dorfer, Gewinnerin der STEIRERIN-AWARDS 2021 in der Kategorie "Die Macherin"
© Erwin Scheriau
Dorfer sieht es als wichtige Kompetenz an, die eigenen Informationen sauber zu recherchieren und auch zu überprüfen. Auch österreichische Medien seien vorm unüberlegten Übernehmen von Meldungen nicht gefeit. „In Österreich ist die APA (Austrian Press Agency) das Maß aller Dinge. Wenn wir sehen, dass die Meldung teilweise 1 : 1 kopiert wurde, lassen wir das von einer zweiten, unabhängigen Quelle noch einmal prüfen“, so die Expertin.
Nomen est omen.
Ein Insekt befindet sich nah an den Dingen und hat auf jeden Fall ein Auge fürs Detail – war das ausschlaggebend für den Namen des Tools? Dorfer lacht. „Wir haben nach einem netten Reimwort gesucht, das man sich leicht merken kann, und bei factinsect sind wir hängen geblieben.“ Für die Zukunft wünscht sie sich, dass der Umgang mit Informationen ein differenzierterer und behutsamerer wird. Man solle sich nicht blind auf die erste Quelle verlassen, sondern zum Selbst-Checken motiviert werden. „Im Moment ist factinsect im Beta-Test – sehr viele Leute haben sich registriert und das öffentliche Interesse ist groß. Wir bieten es aktuell als Browser--Erweiterung an und sehen, dass das Tool genutzt wird und wohl auch die Ansprüche erfüllt“, so die Expertin.
Gut wäre auch ein Einsatz in Schulen, beispielsweise im Informatikunterricht. „Mit factinsect kann man ja einfach darstellen: Warum kann man etwas glauben, warum nicht? Es hilft dabei, besser zu recherchieren – schnell und sicher. Das dauert mit Google alleine viel länger.“ Ihrer Meinung nach können Heranwachsende, die gerade den Internet-umgang lernen, wie auch geübte NutzerIn-nen, die sich eine bessere Überprüfung wünschen, von factinsect profitieren. Das Internet sei ein Ort, an dem alle das veröffentlichen können, was sie möchten. Das bringe viel Freiheit, aber dementsprechend viel Unsicherheit. „Wir denken, dass wir hier eine gute Lösung geschaffen haben. Wir liefern den Hinweis auf Falschinformationen und die User können selbst herausfinden, was sie dann damit machen. So beschränken oder zensieren wir nichts, liefern nur den Anstoß zum Weiterdenken.“