People | 19.05.2022
Das neue 60+
Als Trauer- und Hochzeitsrednerin ist die Steirerin Gabriele Koch nah an den Menschen und ihren Emotionen. Ein Beruf, der Sinn macht und sie heute mit Demut, Freude und Dankbarkeit erfüllt. Man könnte sagen, Emotionen sind die Bausteine ihres Lebens geworden. Oder waren sie es schon immer? In jungen Jahren war nämlich nichts besser in ihrem Leben. Ganz im Gegenteil sogar. Erst das Alter hat der heute 62-Jährigen Milde, Selbstliebe und die Lust, so zu leben, wie sie es möchte, gelehrt. Und tiefe Emotionen haben dabei stetig an Willensstärke und Mut geschliffen.
In einem gefühlskalten Elternhaus in der Weststeiermark aufgewachsen, musste sie als Kind vor allem eines: funktionieren und im elterlichen Betrieb mitarbeiten. Positive Gefühle wurden zu Hause kaum vermittelt. Dafür entwickelte Gabriele diese für sich selbst. Immer dann, wenn keiner hinschaute. „Bücher waren meine Begleiter und Freunde, meine eigene heile Welt. Und die Leidenschaft für inspirierende Texte ist geblieben. Bis heute“, erinnert sich Gabriele Koch, die bereits mit 14 Jahren die alleinige Verantwortung für 200 Mastschweine und die Entscheidung, als Gast- und Landwirtin zu leben, von ihren Eltern aufoktroyiert bekam. Es folgten Jahre der Einsamkeit, der harten, körperlichen Arbeit, inneren Zerrissenheit und ständigen Selbsterziehung, denn emotionale Stütze von ihren kriegstraumatisierten Eltern gab es keine. Mit 35 Jahren zog sie dann endlich die Notbremse und fing beruflich wie privat bei null an. „Ich habe gelernt zu erkennen, wenn Situationen nicht gut für mich sind, und habe heute keine Scheu mehr vor Veränderungen.“
Erst das Alter hat der heute 62-Jährigen Milde, Selbstliebe und die Lust, so zu leben, wie sie es möchte, gelehrt. © Träumerherz
„Nichts ist so stark wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“
Nach langer Zeit der beruflichen Selbstfindung kam mit 45 Jahren und mit zwei Studienabschlüssen die große Wendung: Gabriele Koch machte sich wieder Selbstständig. Jedoch lag das Konzept zu „Herzensworte – Trauer- und Hochzeitszeremonien“ erst einmal fünf Jahre in ihrer Ideenkiste. Erst als die beste Freundin jung an Krebs starb, erwies Gabriele Koch ihr einen letzten Liebesdienst und beschrieb die geliebte Freundin bei der Trauerfeier so, wie sie wirklich war. „Das Erlebnis war prägend und ich habe mir gedacht, wenn ich das emotional so gut kann, dann ist eine freie Hochzeitszeremonie die kleinste Herausforderung. Nach der Lebensrede für meinen Neffen war die Entscheidung klar und ,Herzensworte‘ war geboren“, so Gabriele Koch, die ihre Trauerreden seither übrigens Lebensreden nennt, weil sie den Menschen in seiner Fülle beschreiben. Und der späte Neubeginn hat sich bezahlt gemacht: Bis heute war Gabriele Koch mit „Herzensworte“ acht Mal in Folge im Finale des „Austrian Wedding Award“, vier Mal konnte sie die begehrte Auszeichnung für „die beste freie Trauung“ in Gold gewinnen und zwei Mal Silber und zwei Mal Bronze in die Steiermark holen – und damit zeigen, dass es nie zu spät für einen Start in ein neues Leben ist. „Ich habe immer an meine Idee geglaubt und dafür gekämpft.“ Ganz nach dem Motto: „Geht nicht“ gibt’s nicht. „Heute bin ich aber milder geworden und denke mir eher: Alles kann, nichts muss.“
„Die Neugier auf das Leben und den Mut, Dinge zu versuchen, habe ich beibehalten und ich kann wunderbar über mich und meine Eigenheiten lachen“, weiß die 62-jährige Unternehmerin, wie Glücklichsein heute für sie selbst geht. Und vor allem, wie Leben im Alter gelingt: Mit 40 hat sie sich nach 20 Jahren sparen einen Sportwagen gekauft und ist den Marathon in Berlin und New York mitgelaufen. Mit 50 kam der Hausbau, mit 60 Jahren absolvierte Gabriele Koch den Mopedschein und kaufte sich eine Vespa. „Hinten klebt ein Smiley auf meiner Vespa – für alle, die mir nachtuckern müssen. Und wenn das Wetter passt, trage ich dabei einen Tüllrock.“ Dass diese Lebensfreude im Alter immer schöner macht, zeigt sie sogar als gefragtes Model mit Kampagnen für die AK, das Schauspielhaus Graz, Optik Neuroth oder für Otto Versand zusammen mit Musiker Andreas Gabalier. Mehr noch: Leben bedeutet für sie Liebe. Deshalb hat sie nach 30 Jahren ihren Mann Heinrich nochmals geheiratet und zusammen mit ihren beiden Söhnen Markus und Wolfgang und einer Handvoll Freunde wie Lebensbegleitern die Liebe und das Leben gefeiert. „Und es wird in zwei bis drei Jahren eine Wiederholung geben, zur Leinenhochzeit oder wann immer es uns einfällt.“
Body-Positivity im Alter.
Wie Gabriele Koch ihr gutes Mindset beibehält? „Mit Dankbarkeit, Humor, nicht everybodys Darling sein wollen, das Leben fließen lassen und mit etwas Lebensgymnastik – hin und wieder über den eigenen Schatten springen und dabei lächeln.“ Dass Frauen im Alter zu ihrem veränderten Körper stehen sollten, gehört für sie ebenso dazu: „Mein Körper trägt Narben von Schwangerschaften, Operationen und Unfällen, aber er trägt vor allem mich. Er ist eine Perfektionsmaschine mit altersbedingten Verschleißerscheinungen. Und er liebt Schoko“, schmunzelt Gabriele Koch und hält ihre Body-Positivity hoch. So wie sich selbst, ihre Herzensmenschen und all jene, die ihr begegnen. Denn: „Ich halte es wie Plato: ,Sei gütig, denn alle Menschen, denen du begegnest, kämpfen einen schweren Kampf.‘“ Älterwerden hat also doch ganz viel mit Emotionen zu tun …
Fotos © Bildmacherrei, Ewald Strametz, Träumerherz, Marija Kanizaj