People | 25.01.2022
Für eine gerechtere Welt

Zur Person:
Annemarie Schlack ist in Köflach aufgewachsen. Nach dem Jusstudium in Graz hat sie über berufliche Stationen in England, Genf, New York und Indien zu SOS-Kinderdorf International, schließlich zu Amnesty International Österreich gefunden.
Seit fünf Jahren ist Annemarie Schlack Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich. Sie beschreibt sich als pragmatische Idealistin, als hoffnungsvolle Person, die daran glaubt, dass wir durch persönliche Beiträge Gutes bewirken können.
DIE STEIRERIN: Welche Themenbereiche von Amnesty International sind Ihnen in Österreich am wichtigsten?
Annemarie Schlack: Amnesty International arbeitet in über 80 Ländern. Das Ziel ist, dass wichtige Themen weltweit Gehör finden. Deswegen arbeiten wir an internationalen Amnesty-Kampagnen und setzen sie hier um. Andererseits gibt es leider auch in Österreich konkrete Menschenrechtsverletzungen, zu denen wir arbeiten. Unsere Aufgabe ist es, Missstände aufzuzeigen. Derzeit bemühen wir uns etwa darum, dass 24-Stunden-BetreuerInnen mehr Anerkennung und Rechte für ihre wichtige Arbeit bekommen. Wir setzen uns auch für das Recht auf Protest und zur Meinungsäußerung ein und fordern etwa eine unabhängige Beschwerdestelle für Übergriffe durch die Polizei.
Wo hat Österreich in Sachen Menschenrechte noch Nachholbedarf?
Menschenrechte sind unteilbar. Sie gelten überall und für jeden. Wir können uns nicht aussuchen, in welchem Zusammenhang und für wen wir sie anwenden. Unsere Regierung hat versprochen, alle unsere Menschenrechte zu schützen. Unser Recht auf Arbeit, Wohnung und Gesundheit wird derzeit stark unter den Tisch gekehrt. Diese strukturellen Missstände führen zu Armut und Obdachlosigkeit. Wir beobachten auch vermehrt Angriffe gegen JournalistInnen und unabhängige Medien, das untergräbt das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit.
Die Maßnahmen der Regierung während der Pandemie werden oft als menschenrechtswidrig bezeichnet. Wie sehen Sie das?
Die Regierung muss verschiedene Menschenrechte gegeneinander abwägen – zum Beispiel das Recht auf Bildung gegen das Recht auf Gesundheit – und kann unter gewissen Auflagen Menschenrechte einschränken. Diese Einschränkungen stehen immer in Diskurs um ihre Verhätlnismäßigkeit, müssen das gelindeste Mittel sein und ein Ablaufdatum haben.
Im puncto Gleichstellung hören wir oft: „In anderen Ländern ist es viel schlimmer.“ Gleichzeitig haben wir 2021 im Europaschnitt die höchste Anzahl an Frauenmorden.
„Schlimmer geht immer“ ist keine Benchmark für mich. Außerdem betreffen Femizide zwei unterschiedliche Themen. Einerseits geht es hier um Männer, die Frauen ermorden. Hier müssen wir über Strukturen reden, die das zulassen. Welches Frauenbild haben Männer, dass sie Frauen umbringen? Andererseits geht es dabei um das Menschenrecht auf Nicht-Diskriminierung: Wir alle haben gleiche Rechte, Freiheiten und Möglichkeiten. Hier müssen wir klar sehen, dass Gendergleichstellung in Österreich noch nicht gegeben ist.
Warum sollte uns die Menschenrechtssituation in Afghanistan auch betreffen?
Was in Afghanistan passiert, ist herzzerreißend. Die EU und Österreich haben die Verantwortung, gefährdete Menschen aus dem Land zu bringen, stattdessen wird darüber diskutiert, wie man ihnen Schutz in der EU verwehrt. Die innenpolitische Hetze in Österreich gegen gewisse Gruppen von Menschen lenkt davon ab, dass es um unser aller Menschenrechte geht. Menschenrechte gelten für alle oder für niemanden. Das ist die einzige Möglichkeit, für alle Leben in Freiheit und Gerechtigkeit zu ermöglichen. Auch in Afghanistan geht es natürlich um Solidarität mit der gefährdeten Bevölkerung, aber auch um unsere eigenen Menschenrechte.
Können wir auch schon Erfolge vermerken?
Unsere Welt ist seit den Weltkriegen insgesamt sehr viel besser geworden. Es sind mehr Kinder in der Schule denn je, die Kindersterblichkeit ist gesunken. Die größte menschenrechtliche Herausforderung derzeit ist das Thema Klima. Aber ich glaube, wir können Großartiges leisten, wenn wir uns zusammentun.