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People | 03.12.2021

Besinnliche Seiten

Exklusiv für die STEIRERIN-LeserInnen präsentiert Erzähler und Märchendichter Folke Tegetthoff vier besinnliche Geschichten – von heiter bis nachdenklich. Zum gemeinsam Lesen oder einfach zum alleine Genießen.

Geschichten
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Josefs Brille

Maria und Josef wunderten sich, warum das Kind im Schlaf ständig lächelte. „Es träumt von uns“, sagten die Engel. „Nein, sicher von uns!“, sagten die Kuh, der Esel, die 3 Könige – alle Anwesenden dachten, sie seien der Grund. Aber da die Sache dem Josef seltsam vorkam, suchte er nach der Ursache. Vergeblich – Josef sah nicht mehr so gut. Er war ja nicht mehr der Jüngste. Da klopfte es an der Stalltür und herein trat ein Mann. „Auch ich möchte euch ein Geschenk bringen – das hier.“ Er überreichte dem Josef etwas, das der nicht kannte – damals natürlich niemand kannte –, aber weil wir doch mitten in einem Wunder sind, können wir doch ruhig Zeit und Raum über Bord werfen und ein weiteres Wunder geschehen lassen. Der Mann überreicht Josef eine supercoole Brille. Setzt sie ihm auf die Nase, zupft noch ein bisschen hier, biegt noch ein bisschen da und als er fertig ist, beugt sich der Josef gleich über die Krippe und entdeckt, dank der supercoolen Brille, in der Nähe des heiligen Kindes … einen Marienkäfer!

Das Käferchen hatte es sich im Stroh bequem gemacht, und zwar direkt neben dem Kopf des Kindes. Und bei jedem Flügelschlag kitzelte er das heilige Öhrchen, worauf das Kindlein … lächeln musste.

Als Josef das Geheimnis lüftete, mussten alle lächeln. Auch der Herr mit der Brille, weil er’s doch war, der mithalf, das Rätsel des ersten himmlischen Lächelns zu lösen …

 

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Nachricht 94: Von Gott

Mein lieber ungeborener Enkel! Gott hat heute Nacht zu mir gesprochen. Er flüsterte mir zu, er würde mir jetzt detailliert schildern, was ich zu tun hätte, um meinen Enkel für seinen Weg zu ihm, Gott, vorzubereiten. „Momentchen“, antwortete ich, „ich hol mir nur schnell was zum Aufschreiben.“ Ich wollte auf keinen Fall irgendetwas verpassen – wann bekommt man schon eine solche Gelegenheit? Ich rannte aus dem Zimmer und als ich zurückkam – saß ich aufrecht in meinem Bett. Mist! Gott war natürlich weg, nicht die geringste Spur von ihm war übrig. Ich lauschte noch ein bisschen in mich hinein, aber da war nichts als Stille. Ich brauchte einige Zeit, um zu kapieren, dass dies, diese Stille, Gott sein musste. Er hatte ja von DIR gesprochen. Du kennst noch NICHTS. Weder ein Kreuz noch Mekka, weder Buddha noch ein Sonnengott sagen dir auch nur das Geringste. Du weißt nicht, was beten, und schon gar nicht, was Sünde ist. Du bist nichts als das lebendig gewordene Sein, welches sich selbst genügt. Und in den Augenblicken dieser gespenstischen Stille in mir erinnerte ich mich an die Worte eines indischen Gurus, der mir in Varanasi einmal sagte, dass er nach jahrzehnte-langer Übung, in tiefer Meditation, eine Stille zu erreichen imstande ist, die ihn eins mit Gott werden lasse. Und mit einem Mal verstand ich, was er gemeint hatte: dass er jahrzehntelang von früh bis spät hatte üben müssen, um wieder in jenen Zustand zu kommen, in dem DU dich gerade befindest. „Nichts als das lebendig gewordene Sein …“ – dieser Satz kam ganz langsam aus der Stille hochgefahren, wie ein Wind, von Gott hinterlassen, als er sich vertschüsste. Und mir wurde klar, was er mir diktieren wollte: Du kannst deinen Enkel nach seiner Geburt nicht in die urzeitliche Steinzeit entführen, um ihn vor den Religionen, den Trumps und den Fondsmanagern zu bewahren. Aber du kannst versuchen, einen Ausgleich zu schaffen, eine Balance: eine erzählte Geschichte. Eine Handvoll Heidelbeeren gemeinsam im Wald gepflückt. Fest umarmt in einer Wiese liegen und den klaren Nachthimmel nach Sternschnuppen absuchen.

Ich finde das ziemlich interessant, was Gott mir da für DICH diktiert hatte: dass GLAUBE sich erinnern heißt. An die Stille, diese grandiose Stille.

 

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Maria geht noch mal schnell shoppen

Die Leute trauten ihren Augen nicht: Die Dame auf dem Esel kam – trotz ihres Zustandes – in einem vollendeten Kleid dahergeritten. Sie sah hinreißend aus. Der Herr neben ihr hingegen eher bescheiden, um nicht zu sagen, er wirkte ein bisschen abgerissen. Auf dem Hauptplatz blieben sie stehen, der Herr half der Dame vom Esel und, typisch Frau, zielgerichtet steuerte sie einen Laden an, für Damen, mit geradezu himmlischen Gewändern. Zwei Stunden mussten Esel und Herr ausharren, dann kam sie herangeschwirrt, die Dame, hochschwanger, vollbepackt mit Einkaufstüten. „Ich schleppe das sicher nicht!“, knurrte der Esel, und der Herr seufzte, wohl weil er ahnte, dass dies seine Aufgabe wird sein müssen. „Habt euch nicht so“, lächelte die Dame und drückte dem Herrn die Tüten in die Hand, „ich muss doch auch nach der Niederkunft anständig aussehen! Für das himmlische Kind. Und all die Gäste!“, schwang sich auf das Maultier und gab ein Zeichen, dass sie nun, nach diesem kleinen Einkauf, bereit wäre, der großen Zukunft entgegenzureiten …

 

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Licht ins Dunkel

Die Leute von Bethlehem waren außer sich. Vor den Toren ihrer Stadt, in einem Stall, hatten sich Ausländer eingenistet. Zwischen einer Kuh, einem Esel – und wahrscheinlich Flöhen – hatte die Frau ihr Kind zur Welt gebracht. Als kurze Zeit später auch noch 3 finstere Gestalten durch den Ort ritten, ein Schwarzer, ein Araber und einer, der weiß Gott woher kam, total ausgeflippt angezogen, gefüllte Taschen, wer weiß womit und woher, war den guten Leuten von Bethlehem sofort klar, was die hier wollten: Sie fragten natürlich nach den Ausländern! Und als nach ein paar Tagen Händler fragten, was denn bei dem alten Stall los sei, Hirten und wilde Typen herumlungerten, fröhliches Singen und Halleluja zu hören waren, wurde es den guten Leuten von Bethlehem zu viel:

„Genug! Haschbrüder, Sektierer, Ausländer brauchen wir bei uns nicht!“

Schnell war der Beschluss gefasst, dieses Gesindel von anständigem Boden zu vertreiben. Aber wie? Auch damals brauchte man dazu eine anständige Verordnung. Und die war bald gefunden: „Hiermit wird festgelegt, dass es Ausländern und mit diesen verkehrenden Personen verboten sei, offenes Licht in geschlossenen Räumen zu brennen.“

Gäbe es kein Feuer mehr, würde es dem gottlosen Völkchen bald sehr kalt werden …

Einer wurde hinausgeschickt, um die neue Verordnung an die Stalltür zu nageln. Die 3 Könige waren schockiert, Maria weinte, Josef fluchte und der kleine Jesus hatte Hunger.

Die Nacht brach herein. Es war bitterkalt in Bethlehem – bitterkalt. Es war die Kälte der Menschen, die so frierend machte. Die guten Leute saßen zu Hause vor ihren Feuern, und im Stall drängten sich die Menschen und das Vieh zusammen, um das Kind zu wärmen. Nach 3 Tagen bekam das Neugeborene einen Husten und Fieber, und Maria sagte zu Josef: „Wir müssen weiterziehen, sonst stirbt er uns noch“ – aber sie wusste, dort draußen bei den kalten Herzen hatte das Kind überhaupt keine Chance.

Am vierten Tag kam das Dunkel noch früher als sonst, es war kalt wie nie zuvor, es fiel sogar Schnee in Bethlehem. Und die guten Leute saßen zu Hause vor ihren Feuern und es wollte ihnen trotzdem nicht warm werden. Im Stall drängten sich die Menschen und das Vieh zusammen, um die Kälte dieser Welt zu ertragen. Und draußen heulte der Wind, er rüttelte und zerrte an der Stalltür, als wolle auch er nichts als Eis und Kälte über die Menschen leeren. Da endlich hatte er es geschafft, die Tür flog mit einem gewaltigen Krachen auf, und … ein unbeschreibliches Licht erfüllte plötzlich den Raum, und der Wind, der nun in den Stall geschlichen kam, schmiegte sich zärtlich und warm um die Menschen. Kaum wagte einer zu atmen, so gebannt starrten sie zur Tür, in der ein Engel stand. Ein mächtiger, wunderschöner Engel – allein sein Anblick ließ es warm, sehr warm werden.

Das Licht war bis nach Bethlehem zu sehen und nun konnten die guten Leute der Eiseskälte ihrer Herzen endlich freien Lauf lassen: „Die Ausländer haben die Verordnung gebrochen! Brennt sie, verjagt sie, fort mit ihnen!“

Die ganze Horde zog hinaus, durch die eiskalte Nacht, die Mist-gabeln und Fackeln bereit zum Vertreiben. Sie traten die Stalltür ein und erstarrten: Wie eine Insel im stürmischen Meer, wie ein unendlich hoher Berg in weiter Ebene, wie ein Licht im Dunkeln – so lag das Kind vor ihnen in der Krippe.

„Ihr bringt uns euer Licht“, sagte Josef, „nett von euch, danke, aber wir brauchen es nicht mehr. Doch kommt ruhig näher, kommt!“ Und als sie näher traten, lief das Licht los – von einem zum anderen, zu allen Leuten von Bethlehem und von dort um die ganze Welt …

 

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© Oliver Wolf

Zur Person

Mit rund 1,6 Millionen verkaufter Bücher zählt Folke Tegetthoff zu einem der erfolgreichsten österreichischen Schriftstellern.
Neben seiner Tätigkeit als Erzähler und Konzeptionist ist er auch Initiator des „Internationalen Storytelling Festival”. Folke ist seit 39 Jahren mit Astrid, einer Psychologin, verheiratet. Die beiden leben in der Südsteiermark und in Piran und haben vier Kinder (Tessa, Sophie, Kira und Floris) und drei Enkelkinder.