Lifestyle | 18.01.2023
Wie kann man sich an etwas erinnern, das man selbst nicht erlebt hat?
Koffer packen, auf der Flucht, das komplette Leben ändert sich. Vor über achtzig Jahren musste die 13-jährige Adele Kurzweil Graz verlassen. Sie und ihre Familie waren Juden, die wie Hunderttausende andere verfolgt von den Nationalsozialisten ihre Heimat verlassen mussten. Die bewegende Lebensgeschichte des jüdischen Grazer Mädchens ist Inhalt des Jugendromans „Der Koffer der Adele Kurzweil“ von Manfred Theisen und bildet – entstanden in Zusammenarbeit mit dem Autor Thilo Reffert – die Basis eines Theaterstückes, das im Jänner 2020 im Grazer Next Liberty Premiere feierte. Daraus entstand nun mit Unterstützung des Museums für Geschichte der interaktive Audiowalk „GehDenkMal“. Next-Liberty-Intendant Michael Schilhan und Chefdramaturgin Dagmar Stehring über die Details zu dieser besonderen Spurensuche.
STEIRERIN: Der Walk behandelt eine Geschichte, die in den 30ern des vergangenen Jahrhunderts stattfand. Trotzdem gibt es viele Parallelen zu heute.
Michael Schilhan: Gerade durch die Ukraine-Krise sind Thematiken wie Krieg, Fremdsein und Ausgrenzung wieder aktuell. Geschichte wiederholt sich – leider. Deshalb ist eine gelebte Erinnerungskultur so wichtig. Durch die Figur der jugendlichen Adele gibt es eine Identifikationsfigur, in der sich junge Menschen von heute sehen.
Der zweite Weltkrieg, Judenverfolgung, Gewalt … das sind nicht gerade leichte Themen. Wie sind Sie damit umgegangen?
Dagmar Stehring: Wie im Leben ist es auch im Theater, dass man Kindern oft nicht die gleichen Stoffe zumutet wie den Erwachsenen. Man will sie beschützen. Dabei geht es meist nur darum, für den richtigen Stoff die richtige Form für die entsprechende Altersgruppe zu finden. Darum haben wir uns sowohl mit dem Theaterstück als auch dem Walk bemüht.

Wie funktioniert der Walk genau?
Michael Schilhan: Die zentrale Frage war: Wie kann man sich an etwas erinnern, das man selbst nicht erlebt hat? Ausgehend von diesen Gedanken und den in Gedenken an die Familie Kurzweil verlegten Stolpersteinen in der Schröttergasse in Geidorf bietet unser neuer multimedialer, interaktiver Stationen-Spaziergang „GehDenkMal“ über die kostenlose App „Actionbound“ allen Interessierten die Gelegenheit, per Smartphone eine etwa 1,5-stündige interaktive Spurensuche durch Graz „anzugehen“.
Auch das Theaterstück wird wieder aufgenommen.
Dagmar Stehring: Neben der Umsetzung des Actionbound haben wir uns parallel dazu entschlossen, das Stück in der Spielzeit 2023/24 wieder aufzunehmen. Sehr viele Schulen haben uns proaktiv angeschrieben und diesen Wunsch geäußert.
Warum ist Theater gerade für Kinder und Jugendliche so wichtig?
Dagmar Stehring: Das Erzählen und Verhandeln von Themen über das Spiel sind etwas absolut Kindliches. In Rollen schlüpfen, alternative Szenarien entwickeln und sich auszuprobieren, ist das, was Kinder jeden Tag gerne machen.
Michael Schilhan: Wir bieten auch zahlreiche Möglichkeiten für Kinder, aktiv Theater mitzuspielen. Dabei werden den Kindern nicht einfach Texte zum Auswendiglernen in die Hand gedrückt, sondern sie erarbeiten sich unter der professionellen Anleitung unserer Kolleginnen und Kollegen alles selbst, texten und schaffen so ihr eigenes Theaterstück.