Lifestyle | 22.11.2022
Frauen sind anders krank

Rund 75 Kilogramm schwer und männlich. Lange galt der Mann als Maßstab in der Medizin. Zudem waren Frauen lange Zeit von Studien zur Erprobung neuer Medikamente ausgeschlossen, getestet wurde bei mittelalten Männern, ohne ethnisches Gleichgewicht der Teilnehmer. Die Erkenntnisse wurden einfach auf Frauen übertragen. Heute wissen wir, dass deshalb manche Medikamente für Frauen zu hoch dosiert sind. „Nicht nur das biologische Geschlecht, sondern auch die ethnische Zugehörigkeit hat einen wesentlichen Einfluss auf die Aufnahme, Verstoffwechselung und die Ausscheidung und damit letztendlich auch auf die klinische Wirkung und Nebenwirkung von Medikamenten“, macht Regina Roller-Wirnsberger von der Medizinischen Universität Graz aufmerksam. Sie ist Ärztin der Inneren Medizin, Expertin auf dem Gebiet der Gendermedizin und hat die Leitung der Forschungsgruppe „Altersmedizin und Lebenslange Gesundheit“ über.
Schon seit Mitte der 1980er-Jahre wird der Unterschied zwischen Frauen und Männern in Bezug auf Krankheiten und Therapien untersucht. Heute nimmt die Gendermedizin im Bereich der Forschung einen zunehmenden Stellenwert ein. „Unbenommen dessen kommen aktuell im Alltag der medizinischen Versorgung diese Ergebnisse aber nicht wirklich an“, warnt Roller-Wirnsberger. „Unter den Stakeholdern im Gesundheitsbereich ist das Bewusstsein für Genderaspekte in ihrer Alltagsarbeit noch ausbaufähig.“ Dabei könnte eine geschlechtersensible Medizin für mehr Gerechtigkeit sorgen und sogar Leben retten.

Mann ist anders, Frau auch
Der Gesundheitsfonds Steiermark bekennt sich mittlerweile zu einer gendergerechten Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Zahlreiche Studien belegen, dass das biologische Geschlecht die Gesundheit von Frauen und Männern bestimmt. Wir wissen mittlerweile, dass Brustkrebs die häufigste Krebserkrankung bei Frauen in Österreich ist. Frauen erkranken zudem häufiger an Depressionen, aber auch Erkrankungen des rheumatologischen Formenkreises, und ein geschlechterspezifischer Unterschied bei einer Herzschwäche ist bekannt. Warum psychische Erkrankungen wie Depressionen „weiblich“ sind, hängt laut Studien unter anderem auch von sozialen Risikofaktoren ab, dazu gehört die Mehrfachbelastung durch Kinderbetreuung, Haushalt und Beruf. Frauen haben laut Datenauswertung ein zwei- bis dreifach höheres Risiko, im Verlauf ihres Lebens an einer psychischen Erkrankung zu leiden. „Wichtig ist zu verstehen, dass es bei Gendermedizin nicht alleine um das biologische Geschlecht geht. Vielmehr umschreibt der Genderansatz ein bio-psychosoziales Modell“, so die Medizinerin Roller-Wirnsberger. Zudem gibt es angelernte Unterschiede zwischen Mädchen und Buben in Bezug auf Ernährung, Vorsorge und Bewegung, die sich später auf das Gesundheitsbild auswirken. „Prävention für aktives und gesundes Altern wird in der frühen Kindheit festgelegt. Prägungen durch Elternhäuser, aber auch den Freundeskreis bzw. das Bildungsangebot spielen, unabhängig vom biologischen Geschlecht, eine wesentliche Rolle.“
Unsere Lebenserwartung
Männer werden im Durchschnitt 79,3 Jahre, Frauen im Durchschnitt 84 Jahre alt. Was sagt uns das? „Frauen leben zwar länger, leben aber über einen längeren Zeitraum mit schlechter Gesundheit und damit reduzierter Lebensqualität, das wiederum bedeutet gesellschaftliche Herausforderungen in Pflege und Gesundheitsversorgung“, so Regina Roller-Wirnsberger.