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Lifestyle | 07.11.2022

Sex ist unser Geburtsrecht

Sexcoach Christina Gruber dos Santos Campos erzählt über die Grenzen, die wir unserer weiblichen Sexualität setzen – und über die wundervolle Freiheit, wenn wir Sinnlichkeit in unser Leben einladen.

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© Shutterstock

STEIRERIN: Was ist Sex für dich?
Christina: Sex kann und darf etwas ganz Persönliches, Intimes, eine echte Begegnung mit sich selbst und anderen sein. Dazu braucht es Mut und ein Gefühl von Sicherheit.

Wo fängt Sex an?
Beim Lustvollen. Schau mal, was uns alles stimulieren kann, was alles sexy sein kann. Ob sexuell oder nicht – dort, wo Sinne kollabieren, beginnt Lust. Wir sind zu so einer Sinnlichkeit fähig, aber werden überschwemmt davon, was Sex sein soll. Beim Sex geht es nicht ums Ziel. Im Sex zeigt sich alles – unsere Persönlichkeit, Erziehung, Herkunft, Ängste –, nichts ist intimer.

Wo liegen die Unterschiede zwischen männlicher und weiblicher Sexualität?
Wir haben anatomisch dieselben Teile, sie sind nur anders angeordnet. Die generelle Auffassung ist, dass Männer visuell gesteuert sind und immer Sex wollen und dass Frauen ganz viel Zeit und ein langes Vorspiel brauchen. Aber Vorspiel ist Sex. Wir machen sexuelle Befriedigung vom Gegenüber abhängig und schauen gar nicht darauf, was für uns passt. Aber wir haben alle ein Recht auf Sinnlichkeit und Dinge, die uns unglaublich viel Lust bescheren – egal mit welcher Ausstattung wir geboren sind.

Was ist „guter Sex“?
Tipps, was guten Sex ausmacht, sind gut gemeint, aber sie funktionieren nicht, weil wir alle unterschiedlich sind, was sexuelle Empfindungen angeht. Das hat weniger damit zu tun, wie wir gebaut sind, sondern damit, wie wir aufwachsen, was uns beigebracht wird. Frag dich also, was dir gesagt wurde. Dann kannst du es abgleichen mit dem, was du wirklich willst – so klein kann sexuelles Empowerment sein.

Wieso schränken wir uns beim Sex oft ein?
Vor allem bei Frauen kommen immer wieder drei Dinge auf: Ich bin zu viel, ich bin nicht gut genug und ich bin nicht sicher – ich kann mich nicht so zeigen, wie ich bin. Sich beim Sex sicher zu fühlen, ist die Grundvoraussetzung: Sorgen sind das Gegenteil von Lust. Wenn wir als Frauen im Kollektiv an diesen drei Punkten arbeiten würden, wäre das eine sexuelle Revolution.

Wie komme ich da raus?
Sag dir jeden Tag, dass du frei und es wert bist, das zu erfahren, was du willst – und nicht musst. Unser sexuelles Empfinden ist vom Mutterleib bis zum Totenbett ein Teil von uns, es ist unser Geburtsrecht. Wenn du die sexuelle Energie als deine eigene begreifst, dann beginnt sie zu fließen. Dazu brauchst du nicht unbedingt ein Gegenüber.

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Schon mit 13 klärte Christina über die weibliche Sexualität auf – heute ist sie Sexualpädagogin und Sexcoach. © Karoline Just

Mut zum Anders­sein braucht es überall im Leben und nirgends mehr als in der Sexualität.

Christina Gruber dos Santos Campos
www.thisismakinglove.com

 

Warum können wir nicht kommen?
Weil wir müde und gestresst sind, uns nicht entspannen können und abgelenkt sind. Viele von uns kommen nicht, weil so viel von uns verlangt wird, denn Frauen müssen immer sexuell bereit sein. Weil wir so damit beschäftigt sind, wie wir ausschauen sollen, was wir  leisten und wer wir sein sollen, können wir uns nicht darauf einlassen, was wir fühlen. Das Gefühl ist wichtiger als die Pose.

Wie finden wir die eine Sache, die uns gefällt?
Sex entsteht nur im Moment. Nur weil es sich heute gut anfühlt, heißt das nicht, dass es das morgen immer noch tut. Vielleicht passt es in einem anderen Moment, mit einer anderen Person oder dir selbst wieder.

Sind Frauen „Objekte der Begierde“?
Frauen werden weltweit konsumiert. Das ist ein Fakt. Weil wir zu Objekten wurden, als solche behandelt werden und uns auch selbst als solche behandeln. Aber Sex ist kein Produkt, keine Ware, keine Leistung – auch wenn das der Umgang in den Medien vermuten lässt. Sex ist Ausdruck unserer Persönlichkeit. Wo Frauen Objekte sind, entfernt man jeden Bezug und jede Beziehung zur Realität. Auch das ist Gewalt.

Welche Grenzen setzen wir uns selbst?
In dem Moment, in dem wir eine Rolle einnehmen, geht ganz viel Freiheit verloren. Egal in welchem Bereich, die Frau muss gefällig sein. Wenn wir uns so damit auseinandersetzen müssen, wie wir ausschauen und was wir leisten – wie können wir dann ausdrücken, was wir fühlen? Trau dich zu sagen: Heute bin ich die Sinnlichkeit in Person! Oder heute bin ich mal voll die Hur’. Scheiß drauf.

Welche Rolle spielen Masturbation und Self-Pleasure?
Alles, was man mit sich selbst übt, kann man entspannt genießen lernen. Es gibt kein besseres Yoga, keinen besseren Jungbrunnen, keine bessere Meditation, als sich jeden Tag mit sich und seiner sexuellen Energie zu verbinden. Sei sexy, sei zart, wütend, traurig, wild, verspielt, sei auch mal „grauslich“ und gierig – aber vor allem sei du selbst. Zumindest mit dir, bis du es teilen magst.