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Lifestyle | 12.09.2022

Wenn die Schule zur Qual wird

Mobbing an Schulen ist leider weiter verbreitet, als viele denken. Die Opfer fühlen sich hilflos und schweigen meist lange. Günther Ebenschweiger kennt Wege aus der Mobbing-Falle.

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© Shutterstock

Laut einer Studie der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) sind 20 Prozent der österreichischen Kinder und Jugendlichen Opfer von Mobbing, meist in Schulen. Konkret versteht man unter Mobbing herabsetzende und ausgrenzende Handlungen, die sich systematisch und dauerhaft gegen einzelne Personen richten. Es entsteht aus einem Machtungleichgewicht, das die Mobbenden zu ihren Gunsten ausnutzen. Heutzutage verschwimmen auch die Grenzen zwischen Mobbing und Cybermobbing, da es kaum das eine ohne das andere gibt.

STEIRERIN: Wie wirkt sich Mobbing auf die Betroffenen aus?
Günther Ebenschweiger: Zuerst entwickeln sie Coping-Strategien, etwa dass sie sich ihre Gefühle nicht anmerken lassen. Manche geben sich aber auch selbst die Schuld und haben dann klarerweise keine Motivation, Hilfe zu suchen. Dann kommen psychosomatische Schmerzen, Angst, Selbstverletzung und im schlimmsten Fall Suizidgedanken und -versuche. Und man darf nicht vergessen: In einer Klasse, wo massives Mobbing passiert, gibt es auch keine Bildung.

 

Für alles gibt’s Geld, für die Sessel,
für die Kopierer, aber für die Kinder selbst nicht.

Günther Ebenschweiger

 

Sie bieten unter anderem Sozialtrainings an Schulen an – wie läuft so etwas ab?
Grundsätzlich dauert das Training mindestens zwei Tage. Es gibt dabei drei Schritte: Information & Aufklärung, Motivation & Ermutigung und Schutz & Hilfe. Wichtig ist dabei, dass man nach der Ermutigung nicht aufhört. Seit 25 Jahren bekommen alle meine Handy­nummer. Es melden sich immer wieder Eltern, Jugendliche oder Lehrer*innen im Nachhinein.

Am Anfang stehen der Vertrauensaufbau und die Analyse des Ist­zustands. Dabei werden die Schüler*innen gebeten, zu sagen, was sie in der Klasse stört. Dann werden die Menschenrechte besprochen, also etwa Bildung oder körperliche Unversehrtheit. Und dann erfrage ich anonym, ob es in der Klasse jemanden gibt, dessen Menschenrechte regelmäßig verletzt werden. Falls da Namen auf einen Zettel geschrieben werden, frage ich ganz konkret: Was wird dieser Person angetan? Und was da teilweise genannt wird, ist so brutal, das kann man sich gar nicht vorstellen. Meistens weinen alle außer dem Opfer selbst. Dann frage ich, ob es noch jemanden gibt, dem etwas Ähnliches passiert ist, und dann bricht es oft aus den Kindern heraus, das Schweigen findet ein Ende. Da kommen dann auch Themen wie Suizidgedanken und Suizidversuche. Am Ende gibt es dann noch die Ermutigungsarbeit, damit der Tag einen positiven Abschluss findet. Es gibt noch einige andere Schritte wie den Wunschbrief, den Lobbrief, Elternabend etc., aber das ist so der grobe Überblick. Wichtig ist mir generell, dass man bei Mobbenden den Menschen vom Verhalten trennt, und auch das Thema Petzen: Wenn man sich bei Mobbing an andere wendet, dann ist das kein Petzen, sondern Hilfe holen. Und jede Person hat das Recht, um Hilfe zu bitten und Hilfe zu bekommen.

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© Shutterstock

Was treibt Sie an, diese Arbeit zu machen – Sie sind ja eigentlich schon im Ruhestand?
Wenn ich wo hinkomme, habe ich den Anspruch, dass sich nach meinem Besuch etwas verbessert hat. Wenn ich für eineinhalb Stunden einen Vortrag über Mobbing halten würde, da könnte ich nur ein bisschen zum Thema aufklären. Wenn es dort aber Betroffene gibt, erwarten die sich Hilfe. Und da ich das in der kurzen Zeit nicht leisten kann, kommt es zu einer Sekundärviktimisierung – und damit habe ich eigentlich mehr Schaden angerichtet als vorher.

Warum entsteht Mobbing?
Das Hauptthema ist in der Erziehung zu suchen. Das will meist niemand hören, aber ich erlebe zwei zentrale Erziehungsstile. Einerseits den Laissez-faire-­Stil, bei dem es so gut wie keine Regeln gibt und der dazu führt, dass die Kinder gar keine Identität ausbilden. Sie merken dann, dass sie mit Macht und Dissozialität relativ schnell ans Ziel kommen. Und das andere ist ein gewaltvoller Erziehungsstil, wo entweder den Kindern oder anderen Personen zu Hause Gewalt widerfährt. Richtig wäre aus meiner Sicht ein autoritativer Erziehungsstil, der warmherzig und wertschätzend ist, bei dem es aber auch Regeln und Konsequenzen gibt und bei dem sich Selbstbeherrschung bildet.

Wie geht die Politik mit dem Problem Mobbing in Schulen um?
Pädagog*innen, Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen sind überfordert, aber es gibt keine Hilfe. Ich habe in meiner Tätigkeit mittlerweile 12 Bundes­regierungen erlebt, jeder habe ich das Problem geschildert. Aber es war noch keine dabei, die etwas unternommen hätte. Daher habe ich gemeinsam mit anderen die Initiative „Simple help“ gegründet. Wenn man von Mobbing oder Gewalt betroffen ist, wendet man sich meist zuerst an den Freundeskreis. Was man dort bekommt, sind meist unqualifizierte Ratschläge wie „Das darfst du dir nicht gefallen lassen“. Daher wollen wir mit der Initiative das Umfeld stärken, um schneller helfen zu können.


© Sissi Furgler Fotografie

Zur Person:

Günther Ebenschweiger ist seit 37 Jahren Experte für (Gewalt-)Prävention für Themen wie (Cyber-)Mobbing, Sozialtraining, sexualisierte und häusliche Gewalt, phänomen­übergreifende Radikalisierung und Medienkompetenz. Er war 41 Jahre lang Polizist in Graz, wollte aber auch helfen, bevor es zur Tat kommt. Neben Sozial­trainings an Schulen produziert er einen Podcast („MutMachMontag“), engagiert sich für „Mein Körper gehört mir“, bietet Onlinekurse für Eltern an u. v. m.

Kontakt:
Tel.: 0676/4 25 4 25 4
[email protected]
www.mobbing-zentrum.at
www.mutmachmontag.at


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© Shutterstock

Leitfaden für Eltern

  1. Kinder ernst nehmen: Wenn die Probleme der Kinder als Kleinigkeiten abgetan werden, lernen sie, dass die Eltern ihnen nicht zuhören.
  2. Sich Zeit nehmen: Einmal in der Woche sollte man sich mit dem Kind zusammensetzen und die Woche reflektieren. Dabei muss man als Elternteil ehrlich sein und auch zugeben, wenn etwas nicht gut gelaufen ist, da die Kinder dieses Verhalten sonst übernehmen.
  3. Wenn das Kind von Mobbing berichtet: nicht zu emotional werden. Nicht über­regieren, indem man etwa gleich die Eltern des mobbenden Kindes anruft, denn dadurch wird die Souveränität des eigenen Kindes zerstört. Besser: Sich kurz sammeln und sich dann gemeinsam hinsetzen und weitere Schritte besprechen.
  4. Keine sofortigen Ratschläge geben oder fragen, warum nicht früher etwas gesagt wurde. Dann kommt es zu Sekundärviktimisierung. „Schlag zurück“ funktioniert in einem gruppendynamischen Prozess wie Mobbing in der Klasse nicht.
  5. Trost spenden: verbal und körperlich.
  6. Mit der Klassenlehrperson das weitere Vorgehen besprechen. Den Mobbenden einfach zu sagen, dass sie aufhören sollen, führt eher zu einer Verschlimmerung.

 

Was sind Anzeichen dafür, dass mein Kind vielleicht gemobbt wird?

  • Schmerzen wie Bauch- oder Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Verletzungen, Konzentrationsschwierigkeiten
  • Wenn das Kind nicht mehr in die Schule gehen oder plötzlich nicht mehr mit dem Bus fahren möchte
  • Wenn die Noten schlechter werden
  • Wenn Eigentum beschädigt wird oder verschwindet