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Lifestyle | 14.04.2021

Sprechen wir darüber!

„Man darf ja gar nix mehr sagen“? Falsch. Heute mehr denn je dürfen Menschen ihre Stimme erheben. Was das mit grundlegender Kommunikation zu tun hat? Das beantwortet uns eine Expertin.

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Die Kommunikationswissenschaftlerin und Lehrbeauftragte für Amerikanistik an der Uni Graz, Simone Adams, setzt sich zusammen mit ihren Studierenden für einen antirassistischen Umgang im Alltag ein. Und der startet bei jedem und jeder Einzelnen – denn Diskriminierung ist allgegenwärtig. „Bevor wir über die Umstände in anderen Ländern lernen, müssen wir einmal erkennen, was in der Struktur unseres Österreichs los ist“, erklärt Adams. Natürlich gäbe es immer Menschen, die sich offensichtlich rassistisch gegenüber anderen verhalten – aber nur das anzuerkennen, reiche bei Weitem nicht. „Rassismus ist bei uns tief im System verankert.“
Dieses Problem fange schon mit Schulbüchern an. Zu wenig Repräsentation, kolonialistisch geprägte Bilder und viele schädliche Stereotype sorgen dafür, dass die Geschichte schwarzer Menschen und People of Color in Österreich nicht ausreichend behandelt werde. Durch dieses Unsichtbarmachen fehle eine grundlegende Sensibilisierung in der Gesellschaft.

Reflektieren eigener Privilegien. In ihren Lehrveranstaltungen legt die Kommunikationswissenschaftlerin deswegen besonders großen Wert auf das Reflektieren eigener Privilegien sowie die Zugänge zur Sichtweise jener, die solche nicht erfahren. „Menschen mit nichtweißer Hautfarbe oder Menschen mit Migrationsbiografie wird täglich wieder das Gefühl gegeben, anders zu sein“, sagt sie. Das mache sich im Alltag bemerkbar – an den Blicken anderer Menschen, der Behandlung bei der Arbeits- oder Wohnungssuche oder in den Öffis. Dabei sei es zusätzlich wichtig zu erkennen, dass die Kombination von mehreren Identitäten auch unterschiedliche Formen von Diskriminierung hervorruft. „Eine schwarze Frau erlebt zum Beispiel im Alltag komplexere Abwertungserfahrungen als eine Frau mit weißer Hautfarbe. Dafür muss Bewusstsein geschaffen werden.“

 


Simone Adams leitet den Fachbereich für Mediendidaktik am Zentrum für digitales Lehren und Lernen der Karl-Franzens-Universität Graz. Als promovierte Amerikanistin sowie Kultur- und Kommunikationswissenschaftlerin lehrt und forscht sie auch schon seit Jahren in Europa und den USA zu Themen rund um Diversität und Intersektionalität, Unconcsious Bias, Privilege Awareness, Gender Studies und Critical Race Studies.


Breaking Silence. In einer von Adams’ Lehrveranstaltungen ging es letztes Semester um die konkrete Auseinandersetzung mit Rassismus in den USA – also auch um die weltweite Bewegung „Black Lives Matter“. Aus dieser Grundlage habe sich durch viel Engagement der Studierenden ein eigenes Projekt namens „Breaking Silence“ (@breakingsilencegraz) entwickelt, das nun auf Social Media wichtige Aufklärungsarbeit leistet. Hier sollen die Stimmen jener laut gemacht werden, die bis jetzt nicht oder nicht ausreichend gehört wurden. Mithilfe aussagekräftiger, selbst gestalteter Grafiken und einer eigens initiierten Social-Media-Challenge werden mit dem Instagram-Account Missstände sichtbar gemacht und Anregungen geliefert, was Einzelpersonen tun können, um aktiv antirassistisch aufzutreten. Aufbereitet wird das Ganze keineswegs als akademischer Diskurs, sondern für die Allgemeinheit verständlich und praxisbezogen. „Wie verhalte ich mich, wenn meine Freundin einen diskriminierenden Witz macht? Wie kann ich mich solidarisch zeigen? Da möchten viele etwas dazulernen.“
Vor Kurzem gab es bereits das erste Online-Event, an dem über 150 Personen teilnahmen – ein großer Erfolg. „Da sieht man, wie viel Wunsch nach mehr Aufklärung besteht – und das, obwohl das Ganze wahrlich kein ‚Feelgood‘-Thema ist“, zeigt sich Adams berührt. Sie selbst nehme dabei hauptsächlich eine begleitende Funktion ein, die gesamte Umsetzung und Social-Media-Expertise komme von den Studierenden selbst. „Die gesamte Gruppe leistet großartige Arbeit und wird von Enya Reinprecht und Laís Clemente, zwei überaus engagierten Projektleiterinnen, zusammen gehalten.“

Fortsetzung muss sein … Es sei essenziell, das Thema Rassismus immer wieder und mit Nachdruck zu behandeln, betont die Expertin. Auch nach der Social--Media-Challenge soll „Breaking Silence“ weiter existieren. „Eine Arbeit, die sich Antirassismus verschreibt, ist eine lebenslange Aufgabe.“ Es sei ihr bewusst, dass das Ganze teilweise noch immer ein Tabuthema sei und viele Menschen Scheu haben, neu gelernte Begriffe zu verwenden – während andere sich gar vehement dagegen sträuben. Eine stetige Weiterentwicklung liege Sprache ohnehin zugrunde und so könne Adams die Abwehrhaltung vieler Leute nicht verstehen, die sich „eingeschränkt fühlen“, wenn sie abwertende Wörter nicht mehr in den Mund nehmen sollen.
„Wir müssen lernen zu respektieren, wie Menschen mit Diskriminierungserfahrungen selbst bezeichnet werden wollen, und diese Begriffe auch verwenden. Wenn gewisse Wörter über Jahrhunderte mit Grausamkeiten und Abwertungen aufgeladen wurden, ist es das Mindeste, diese aus unserem Wortschatz zu streichen. Das ist ein Zeichen von Respekt.“ Veraltete Bezeichnungen bringen einen historischen Rucksack an Belastungen mit, der auch für Menschen ohne Diskriminierungserfahrungen sichtbar gemacht werden müsse.
Gerade im Zuge von Corona sei deutlich geworden, wie viele neue Begriffe sofort ins Vokabular der Bevölkerung aufgenommen werden können, wenn sie nur regelmäßig genutzt werden. „Den Ausdruck ‚Social Distancing‘ verwenden wir heute alle selbstverständlich, also so schwer war das doch nicht.“

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Unbewusste Vorurteile reflektieren. Das Problem sehe Adams darin, dass viele Menschen sich ihre unbewussten Vorurteile nicht eingestehen können (oder wollen) und eine Diskussion bei ihnen Schuldgefühle auslöst, mit denen sie nicht umgehen können. „Wenn eine Gruppe benachteiligt wird, wird eine andere bevorzugt – das lässt sich halt nicht trennen. Bei Rassismus geht es um mehr Ebenen als die individuelle – und gewisse Dinge, die für mich selbstverständlich sind, sind es für andere nicht.“ Deswegen reiche es nicht, einfach zu sagen, „Ich bin eh nicht so“, das löse keine Probleme. „Weil wir so sozialisiert wurden, haben wir unsere unbewussten Vorurteile zu reflektieren und Fehler einzugestehen.“ Einfache Bemerkungen im Alltag haben dabei eine große Wirkung.

Auch Schweigen ist Kommunikation. Als Beispiel nennt Adams das 4-Seiten--Modell aus der Kommunikationswissenschaft: Die Nachricht, die vom Sender ausgeht, komme auch auf eine gewisse Art beim Empfänger an. Wenn eine mögliche verbale Verletzung nicht berücksichtigt werde, klappe das mit dem Kommunizieren nicht. Dabei seien nicht nur Worte wichtig, sondern genauso Mimik, Gestik und vieles mehr. „Wir kennen doch alle den berühmten Satz von Paul Watzlawick: ‚Man kann nicht nicht kommunizieren‘ – der trifft zu“, macht Adams deutlich. „Das heißt, ich sende auch Signale aus, wenn ich bei einem diskriminierenden Kommentar oder Witz NICHTS sage. Auch Schweigen ist Kommunikation.“
Meistens werde marginalisierten Gruppen selbst die fordernde Aufgabe übertragen, über ihre Erlebnisse zu berichten, gratis Aufklärungsarbeit zu leisten und Daten, Zahlen, Fakten zu nennen, um überhaupt ernst genommen zu werden. Viele Menschen ohne solche Erfahrungen wollen erst „überzeugt werden“, um auf das Problem einzugehen, das sie selbst nicht sehen. Dieses Abwälzen der Verantwortung könne auf Betroffene auslaugend, wenn nicht sogar traumatisierend wirken, weswegen es umso wichtiger sei, den antirassistischen Fortschritt auch als Person mit Privilegien zu unterstützen.

„Alle können bei sich selbst beginnen und sich einmal fragen: Welche Medien konsumiere ich? Welche Bücher lese ich, welche Filme und Unterhaltungsprogramme schaue ich und wie sieht es da mit diverser Repräsentation aus?“ Wenn wir weiterhin nur weiße Menschen in Talkshows einladen, um über Rassismuserfahrungen zu sprechen – wer wird dann gehört? Um wessen Leben geht es dann wirklich? Das Thema solle nicht wieder aus den Köpfen der Menschen verschwinden, nur weil es ihnen unangenehm ist zu reflektieren. Es müsse tagtäglich behandelt werden – in den Schulen, Universitäten, Arbeitsstätten, im Alltag, um Schritt für Schritt eine nachhaltig respektvolle Kommunikation zu etablieren, die niemanden diskriminiert und ausschließt. Dafür kämpft die Lehrbeauftragte mit ihren Studierenden. „Sprache formt ja Gesellschaft. Also brechen wir gemeinsam das Schweigen – und sprechen wir darüber.“


Kommunikation: Die Fakten

• „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ (Zitat Paul Watzlawick) Das heißt, Signale werden immer gesendet.

• Kommunikationshandlungen bestehen also nicht nur aus gesprochenen Handlungen, sondern werden nonverbal, paraverbal, z.B. mit Gestik und  Mimik, Stimmlage oder Pausen, ausgedrückt.

• Empfangen wir wenig Signale, kann das zu Missverständnissen führen. Aktuelles Beispiel: Durch Corona werden Treffen oft online und „körperlos“ erledigt. Durch Videocalls und -Social Media geht viel soziale Präsenz verloren, da braucht es andere Signale, um sich verständlich zu machen wie Emojis.

• Die informelle Kommunikation rückt durch Corona also auch auf die berufliche Ebene, um sich besser verstehen zu können.

• Sprache verändert und entwickelt sich ständig.

• Nicht nur was der Sender sagt, ist wichtig – auch wie das -Gesagte beim Empfänger aufgenommen wird.

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