Lifestyle | 29.05.2017
Zeit für das Abenteuer Norwegen
Gut 2.600 Kilometer lang wäre die Atlantikküste Norwegens ohne seine weit in das Land hineinreichenden, zerklüfteten Buchten und Fjorde. Die machen daraus eine Küstenlänge von 25.000 Kilometern. Norwegen ist eine lange, spannende Entdeckungsreise. Hinter jeder Kurve taucht eine Kulisse auf, noch überwältigender als die vorherige. Fahrstrecken, auf denen man alle hundert Meter Pause machen möchte, weil man sich immer noch nicht sattgesehen hat am Grün der Wiesen, an den imposanten Bergen und am Blau des Wassers. Wo die Urlaubsfreude Purzelbäume schlägt und man mehr sehen will, immer mehr. Wasserfälle, Gletscher, bunte Holzhäuser, alte Stabkirchen. Rechts abbiegen, links? Egal, es ist da und dort beeindruckend schön.
Von den 5,2 Millionen Einwohnern leben 75 Prozent in den größten Städten, das Land ist dünn besiedelt, mitunter wirkt es, als sei Norwegen, vor allem im Norden, nur von Schafen bewohnt. Zweieinhalb Monate lang geht nördlich des Polarkreises im Sommer die Sonne nicht unter, zweieinhalb Monate ist es dafür im Winter dunkel. Der Polarsommer bedeutet einen Verlust des Zeitgefühls, wenn abends die Dämmerung eintritt, aber nicht aufhört. Wenn man auf die Fähre wartet, um ans andere Fjord-Ufer zu gelangen, sie aber nicht kommt, weil es schon zwei Uhr morgens ist. Wo zu Mitternacht kleine Kinder mit den Fahrrädern ihre Runden drehen und der an dunkle Sommernächte gewohnte Mitteleuropäer Mühe hat, überhaupt müde zu werden. Norwegen um Mittsommer: Das bedeutet, sich fallen zu lassen in endlose Tage, die das gewohnte Zeitgefüge völlig auf den Kopf stellen.
Ungewöhnlich sind auch die kulinarischen Seiten des Landes mit Gerichten wie Fiskepudding (Fischpudding), Kjøttkaker (Fleischkuchen) oder Lutefisk, ein in Salzlauge aufgeweichter, stinkender Fisch. Nicht nur beim Essen beweist der Norweger Humor, er lacht auch gern über andere, am liebsten über die Bevölkerung des Nachbarlandes Schweden, das stets als Leuchtturm Skandinaviens präsentiert wird, wo doch Norwegen reich an Ölvorkommen ist. Rein landschaftlich fehlen den Schweden allerdings einige Höhenmeter – und natürlich die atemberaubenden Fjorde, an deren Ufer hunderte Meter hohe Felswände hochragen, dazwischen Wasserfälle, die tosend in die Tiefe stürzen. Auch der Bergsport kommt nicht zu kurz: Die ganz Mutigen wagen sich auf die Felsvorsprünge der Trolltunga oder des Preikestolens, die hunderte Meter über den Fjord ragen und spektakuläre Blicke in die Tiefe bieten (wer sich traut, an den Felsrand zu gehen). Als absolutes Highlight Norwegens gelten unbestritten die Lofoten. Die Inselgruppe oberhalb des Polarkreises ist ein wunderbares Stück unberührte Wildnis.
Mit seinen majestätischen Bergen, Fjorden und Sandstränden hat es sich nicht nur als Anglerparadies entwickelt. Ein Urlaub in einem Rorbu, einer alten Fischerhütte, ist ein Abenteuer in Sachen Entschleunigung. Doch auch die touristischen Dauerbrenner sollte man nicht versäumen, den Besuch der eigentlich unspektakulären Insel Magerøya beispielsweise, wo sich auf einem steil aus dem Eismeer emporragendem Schieferplateau das Nordkap, der nördlichste Punkt Europas, erhebt, von dem es „nur“ 2.100 Kilometer zum Nordpol sind. Badeurlaub ist in Norwegen übrigens etwas für Abgehärtete. Die Wassertemperatur erreicht maximal im Süden die 20-Grad-Marke, im Norden liegt sie gerade einmal bei 12, 13 Grad. Es zahlt sich dennoch aus, die traumhaften Sandstrände zu suchen. Das lebendige, quirlige Norwegen findet sich vor allem in Städten wie Trondheim, Bergen, Stavanger oder Oslo. Junge Menschen, für mitteleuropäische Verhältnisse stets zu leicht bekleidet und zu betrunken, hippe Städter auf den Fischmärkten und Touristen, die sich direkt von den Fangbooten gekochte Garnelen kaufen und gemütlich kauernd essen. Das wohl größte Problem in Norwegen ist, sich auf eine Region festzulegen, um richtig eintauchen zu können. Norwegen ist wie seine zerklüftete Küstenlandschaft, die Eilige immer wieder einbremst. Man muss sich dafür Zeit nehmen.