Lifestyle | 26.11.2020
Scheitern ist zum Lachen
Clowns haben viele Superkräfte. Sie erschaffen Persönlichkeiten, erzählen Geschichten, sprechen aus, was ist, und stolpern sich so ins Herz ihres Publikums. Auch in den dunkelsten Zeiten sind sie auf das Lachen der Menschen bedacht und fallen kunstvoll aus dem Rahmen. Ute Sracnik ist Rote-Nasen-Programmleiterin in der Steiermark und für die Team-Einteilung sowie Kommunikation im gesamten Bundesland zuständig. „Bis zum Ende des Jahres haben wir 21 Clowns in der ganzen Steiermark. Die Nachfrage ist weiterhin groß, auch im Seniorenbereich oder auf Palliativstationen“, erzählt sie. Das sei in der aktuellen Situation keine Selbstverständlichkeit. Fünf neue junge Clowns waren im Winter gerade rekrutiert worden und hatten mit Eifer begonnen, sich in die Arbeit hineinzuleben. Dann kam Corona und die strengen Richtlinien in den Krankenhäusern und Seniorenheimen warfen viele Fragen auf. „Da mussten wir uns ein bisschen neu erfinden“, erzählt Ute. „Immerhin sind wir Begegnungskünstler*innen und treffen die Menschen normalerweise in 3D – damit war erstmal Schluss.“ Mit Zoom und anderen technischen Möglichkeiten wurden sofort Online-Besuche und -Aufführungen etabliert, die Roten Nasen gerieten in die Filmbranche. „Später haben wir dann auch Garten- oder Balkonbesuche gemacht, um auf die Abstände achten zu können.“ Da sich die Situation von Tag zu Tag wieder ändern könne, stehe man ständig in engem Kontakt zu den Pflegedienstleitungen und stelle sich auf rasche Reaktionen ein. Und wenn die Roten Nasen etwas können – dann ist es Improvisieren. „Das Ganze ist ja eine etwas clowneske Situation. ‚Nix ist fix‘, das kommt uns natürlich sehr entgegen“, schmunzelt Ute. „Wir jonglieren weiterhin mit den Gegebenheiten.“
Scheitern ohne Wertung. Seit dem Jahr 1998 ist die Programmleiterin auch selbst begeisterte Clownin und direkt an der Front vertreten. „Wenn wir als Rote Nasen in einen Raum kommen, muss nichts beschönigt oder aufrechterhalten, sondern einfach nur angenommen werden. Wenn wir da sind, lautet die Devise: So, wie es ist, ist es gut.“
Das Scheitern ohne Wertung gehöre zur Philosophie der Roten Nasen, deswegen könne ein Clown neue Situationen einfach als das akzeptieren, was sie seien, in all ihrer Imperfektion. Vor allem im Umgang mit kranken Menschen helfe diese Einstellung viel. Was man als Clown oder Clownin sonst noch mitbringen müsse? „Einen Zugang zum Künstlerischen, Darstellerischen und keine Angst, etwas auszuprobieren“, sagt Ute. „Jeder und jede hat eigene Talente und Fähigkeiten, die zum Einsatz kommen können. Sei es Schauspielerei, Singen oder was anderes – im Hauptfokus bleibt die Begegnung mit den Menschen.“ Da bestehe die Kunst darin, auf die jeweilige Situation einzugehen und den richtigen, taktvollen Ton zu finden. „Intuition ist ein großes Thema. Das lernt man aber mit der Zeit.“ Es sei vor allem wichtig, sich auf die jeweilige Raumatmosphäre einzulassen und auf die unterschiedlichen Altersgruppen und deren Bedürfnisse einzugehen. „Manche Angehörige fühlen sich sofort wohl in der Situation, andere nicht. Auch mit dem Personal müssen wir natürlich ein gut eingespieltes Team bilden.“ Immer wieder kämen auch Diskussionen auf, ob die Roten Nasen ein Fixpunkt in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen werden sollten. „Wir sind Kunstschaffende, die im Pflegebereich arbeiten, und auch ein Teil der jeweiligen Häuser. Für viele Menschen gehören wir bereits offiziell zum Personal, für andere nicht. Das hängt immer von der Kommunikation und der Zusammenarbeit ab.“ Wichtig sei, sich von Hindernissen nicht den Weg versperren zu lassen und damit umgehen zu lernen.
Lust aufs Scheitern. Ob Ute Sracnik selbst von einem erinnerungswürdigen Scheitern zu berichten hat? „Vor allem in der Anfangszeit fühlt sich vieles wie ein Misserfolg an“, erzählt sie. „Da habe ich mich manchmal gefragt, ‚Was mach ich da eigentlich, da klappt nichts!?‘ – und mein Kollege war aber begeistert.“ So habe sie gelernt, mit dem Scheitern umzugehen, und interpretiere es mittlerweile nicht mehr als Misserfolg. In den internen Clown-Workshops bekomme man oft sogar richtig Lust aufs Scheitern. „Das kann heilsam sein und ist im Nachhinein oft sehr lustig. Und wenn nicht, bleibt einem zumindest der Lernerfolg.“
Utes Ziel sei es, den zuschauenden Menschen auch einmal einen Spiegel vorzuhalten und zu zeigen, dass ein Scheitern meist nicht apokalyptische Ausmaße annimmt, sondern sogar zum Lachen bringen kann. „Der Clown ist ein Anarchist, der mit Autoritäten nichts anfangen kann und naiv alles infrage stellt, aber keine Antwort erwartet. Er wundert sich zwar manchmal, versteht aber, dass er nicht alles verstehen kann. Er bleibt aber im Hier und Jetzt.“ Und wie viel Ute Sracnik steckt in ihrer eigenen Clown-Persönlichkeit? „Man nimmt viel von dem, was einem liegt, um authentisch zu sein. Das ist ganz besonders wichtig“, betont sie. Sie zum Beispiel sei als Clownin eine sehr akkurate und geordnete Person, die es gern aufgeräumt habe. „Das ist jetzt vielleicht nicht 1 : 1 meine wahre Persönlichkeit, aber vielleicht ein Attribut, das ich im Alltag gerne mehr hätte. Man bringt also auch den eigenen Charakter mit ein und wirkt so ein paar Unsicherheiten entgegen, die ein Clown sowieso mit sich bringt. Dabei lernt man viel, vor allem über die eigenen Grenzen und Fähigkeiten.“ Man sei immer auf der Suche nach Inspirationen, lerne Tools und Tricks und erfinde sich ständig neu. Auch die Beziehung der Clowns-Rollen untereinander und im Team verändere sich. Was das Schönste an Utes Job sei? „Das mag jetzt vielleicht abgedroschen klingen, aber das Tollste ist die Tatsache, dass man direkt beobachten kann, was unsere Arbeit bewirkt“, sagt sie. Das eigene Wohlbefinden mal hintanzustellen und loszulassen, könne richtig befreiend sein und neue Motivation liefern. „Menschen zum Lachen zu bringen und – sei es auch nur kurz – aus ihrer Situation herauszuholen, macht einen selbst auch glücklich. Man kriegt unsagbar viel zurück.“