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Lifestyle | 09.11.2020

Lagunen-Liebe

Venedig – das ist viel mehr als der Markusplatz und die Rialtobrücke. Die Lagune birgt viele Geschichten von Orten, die heute vergessen sind. Der steirische Segelprofi Wolfgang Siebenhandl verrät in der STEIRERIN seine liebsten Lost Places.

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© Wolfgang Siebenhandl

Venedig ist eigentlich keine Stadt. Venedig ist ein Museum – ein Museum seiner selbst. Viele der Reichtümer der Republik, die sich 1797 Napoleon ergab und damit ihre Macht und ihre Fähigkeit zur Regeneration verlor, sind am Verfallen. Die Krisen, die die Serenissima hat durchlaufen müssen, sind unzählig: Franzosen, Österreicher, das italienische Königreich, Typhus, Cholera, Pest, Mussolini, die deutsche Besatzung, den modernen italienischen Staat, Kreuzfahrtschiffe, den steigenden Meeresspiegel, die Hochwasser, die Touristenflut und zugleich heuer das Ausbleiben der Touristen. Man hatte die Chance, Plätze, die sonst überlaufen sind, ohne Menschen fotografieren zu können. Auch die Wasserqualität hat von der Ruhe profitiert: Fische und allerlei anderes Getier sind bisweilen bis zum Grund zu sehen.

 

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Murano

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Ponte dei Sospiri – die berühmte Seufzerbrücke

Leinen los. Der Segeltörn beginnt im Norden bei Torcello: Vor tausend Jahren lebten hier vermutlich 20.000 Personen, heute sind es zwölf. Im Top-Lokal Locanda Cipriani speisten schon Angelina Jolie und Brad Pitt, auch Lady Diana. Heute sind nur ein paar Tische besetzt. Folgt man dem Lauf der Kanäle nach Süden, kommt man nach Burano und Mazzorbo. Traditionelle Spitzen und bunte Häuser sowie Weingärten – deshalb kommt man hierher. Während rechter Hand der Flughafen im Blick ist, links ein paar verfallene Bauten auf kleinen Inseln, rückt Murano, die Glasbläserinsel, näher. Auch diese Branche ist tourismusabhängig, lediglich die Bootswerft Serenella, die die einzigartigen Taxiboote herstellt, hat immerzu Arbeit.
Dass die Seuchenbekämpfung in der Lagune schon lang ein Thema ist, zeigt das Lazzaretto Nuovo, wohin alle Pest-Infizierten gebracht wurden. Ja und dann stehen wir endlich auf der Hauptinsel, deren Geschäfte teilweise geschlossen haben, weil oft das Personal mehr kostet, als hereingespielt wird. Ungebrochen ist der Glanz, den das Ensemble von San Giorgio Maggiore, Santa Maria della Salute und San Marco ausstrahlt. Fährt man nach Westen, Richtung Festland, liegt eine völlig verwachsene Insel am Weg: San Giorgio in Alga. Sie war einst geistiges Zentrum mit einer bedeutenden Klosteranlage, aus der Päpste hervorgegangen sind. Aber auch das Ausbildungslager der deutschen Kampfschwimmer gegen Ende des Zweiten Weltkrieges war hier gelegen.

 

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Trio sensationell – das Ensemble von San Giorgio Maggiore, Santa Maria della Salute und San Marco

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Torcello

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Wo wohnt es sich noch gut? Am Lido gibt es Bauten, die das Auge erfreuen und anhand derer man vom Leben in der Lagune zu träumen beginnt. Gegenüber liegt die Klosterinsel San Lazzaro degli Armeni. Hier scheint die Welt noch in Ordnung zu sein, alles ist gepflegt und erweckt den Eindruck gelehrter Betriebsamkeit. Doch nur ein paar Hundert Meter weiter südlich mahnt das Lazzaretto Vecchio – älteste Quarantänestation der Welt – erneut an die Gefahren der Seuchen.
Ein Stück innerhalb der Lagune liegt Poveglia. Hier war einst ein Dorf, später ein Spital und im 20. Jahrhundert ein Altersheim, bis die Gebäude verlassen wurden. Seit fünfzig Jahren erobert die Natur die Insel zurück. Kurz bevor man aus der Lagune segelt, kommt man noch am alten Fort Alberoni vorbei, einem Festungsbau aus der österreichischen Zeit. Über Malamocco verlassen wir die grünlichen Gewässer, um wieder ins Blau der Adria zu gelangen: Hier ist die einzige Stelle, an der das Hochwasserschutz-Bauwerk MOSE bis jetzt funktioniert – eine Sorge weniger für Venedig.


Zur Person

Wolfgang Siebenhandl hat Mathematik und Theologie studiert und war zwanzig Jahre lang als Lehrer tätig. Vor zwei Jahren hat der Steirer seine Leidenschaft, das Segeln, zum Beruf gemacht und zeigt Gästen die schönsten Orte an der Adria, dem ionischen Meer und der Ägäis. Sein Stammrevier ist die obere italienische Adria. Segelausbildung, Vorträge und das Wissen über historische Zusammenhänge ergänzen das Angebot.

Über sich selbst: unangepasst, liebevoll, ehrlich
Interessen: Lesen, Schreiben, Musik, Tanz, Fotografie
Visionen: Friede zwischen Mensch, Tier und Natur
Motto: Wer wagt, gewinnt.

www.segelnundmeer.at