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Lifestyle | 30.10.2020

Ladies First!

… heißt es in der Neuen Galerie. Die STEIRERIN sprach mit Gudrun Danzer, Kuratorin der Ausstellung, die erstmals Leben und Werk steirischer Künstlerinnen in der bewegten Zeit von 1850 bis 1950 zugänglich macht.

Fotos Petra Hammer-Maier, Rheinisches Bildarchiv Köln, MAK, Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

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Norbertine Bresslern-Roth, „Elefanten“, 1934

Seit der (Wieder-)Entdeckung von Hilma af Klint (2013) fragt man sich, ob Frauen in der Kunst nicht nur unterrepräsentiert, sondern vielmehr unsichtbar waren. Wie war das möglich und war diese Überlegung auch ein Grund, eine solche Ausstellung zu kuratieren?
Gudrun Danzer: Zur ersten Frage: Das hat mehrere Gründe, die in der Kunstgeschichte und Kunstgeschichtsschreibung, als auch im damaligen und heutigen Kunstsystem zu finden sind. Seit der Aufklärung wurden die fixen Rollenzuschreibungen propagiert, dass Frauen mehr der Natur zugehören und Männer mehr dem Geist. Heute noch bringt man den Frauen Blumen und Männern Wein, diese Zuschreibungen sind also kulturell immer noch verankert. Es entstand die Vorstellung, dass eine Frau gar nicht genial, also erfinderisch sein kann, sondern nur reproduzierend. Kunstgeschichtsschreibung ist sehr auf Meisterwerke fokussiert. Alles, was nicht die großen Meister sind, fällt durch den Rost – und damit auch die meisten Frauen. Biografien von Künstlerinnen sind anders verlaufen als die ihrer männlichen Kollegen. Ausbildungen wurden oft unterbrochen wegen Heirat oder Kind. Auch fehlende Role Models zu der Zeit spielen eine Rolle. Und zur zweiten Frage: Unser Anspruch war es, steirische Künstlerinnen sichtbar zu machen, aber nicht weibliche Meisterwerke zu suchen und mit denen von Männern zu vergleichen, sondern die Biografien und den sozialgeschichtlichen Kontext in den Mittelpunkt zu rücken und überhaupt einmal eine Bestandsaufname zu machen.

Aber sind denn wirklich 100 Jahre lang so viele Künstlerinnen „durch den Rost gefallen“? Die Wiener Moderne hat ja eine verhältnismäßig große Anzahl von Künstlerinnen hervorgebracht, bevor das Pendel durch das Aufkommen der Nazi-Ideologie in die Gegenrichtung ausschlug. Gab es diese Tendenz fernab der Metropole ansatzweise gar nicht?
Das ist nicht vergleichbar mit Wien um 1900, das ein Anziehungspunkt für Künstlerinnen aus der ganzen Welt war. In Graz war es aber erstaunlicherweise immerhin so, dass die Landeszeichenakademie ab 1805 Frauen zuließ. Sie hatte allerdings nicht den Rang der Akademien in den Metropolen. Grundsätzlich haben wir aber bewusst diese 100 Jahre gewählt, weil das eben der Zeitraum war, wo es erstmals für eine größere Anzahl von Frauen möglich war, sich überhaupt die Frage nach einer künstlerischen Existenz zu stellen – ein Phänomen, das mit der Revolution 1848 und der allgemeinen bürgerlichen Revolution zusammenhängt.

Die Herkunft aus sozial privilegierter Schicht spielte bei Frauen in diesem Zeitraum eine stärkere Rolle als bei Männern?
Ja. Denn es gab ein patriarchales Ausbildungssystem. Männer gingen auf Akademien, Frauen waren in der Regel auf teuren Privatunterricht angewiesen. Das ist übrigens auch ein Grund, wa-rum diese Zeitspanne so lange ein blinder Fleck in der Kunstgeschichte geblieben ist. Die linke 1968er-KunsthistorikerInnen--Szene hat die Nase gerümpft über die „höheren Töchter“. Da sind sie dann ein zweites Mal durchgerutscht in der Wahrnehmung.

 

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Marianne Stokes, „Melisande“, 1895

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Ida Maly, „Trübe Ahnungen (Selbstporträt)“, 1928–30

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Mara Schrötter-Malliczky, Plakat „Mirus Antinikotin“, 1919

Aus welchen Milieus konkret ent-stammten die Künstlerinnen?
Es gab Vertreterinnen aus dem Adel, etliche waren auch Offizierstöchter. In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts galt Graz als Pensionopolis, wohin sich viele Offiziere nach ihrer Laufbahn zurückgezogen haben. Die sind von einer Garnisonsstadt der Monarchie zur anderen gezogen mit ihren Familien und waren daher recht offene Leute. T. Eissl war eine Postmeisters-tochter. N. Bresslern-Roth war als uneheliches Kind definitiv nicht privilegiert, hat aber international Karriere gemacht.

Gab es im Zuge der Recherche auch Entdeckungen?
Ja, zum Beispiel Anna Lynker, sie ist als Gesellschafterin des Diplomaten Prokesch-Osten mit ihm Mitte des 19. Jahrhunderts in den Orient gereist und hat einen beachtlichen Beitrag zur Orient-Malerei geleistet, von dem man bisher nichts wusste. In den Schriften von Prokesch-Osten hieß sie nur „das Fräulein Anna“, der Name Lynker tauchte nicht auf. Diese Geschichte ist symptomatisch für die Nicht-Beachtung der Frauen damals.

Was waren die Themen und Motive?
Bis zum 1. Weltkrieg waren die Motive überwiegend konventionell und entsprachen dem, was man Frauen zuschrieb: Blumen, Landschaften, Porträts. Nach dem 1. Weltkrieg fängt die kritische Kunst an, da wird dann auch die Frauenrolle in Frage gestellt.

Hat der Weltkrieg also einen emanzipatorischen Schub gebracht?
Ja, denn da mussten Frauen viele Aufgaben übernehmen, die bis dahin die Männer erfüllt hatten. In der Zwischenkriegszeit wurde die Kunst dann sehr ideologisch. Unter den Künstlerinnen gab es auch solche, die aktiv im Widerstand waren, wie zum Beispiel S. Wenger oder M. Biljan-Bilger. Tragisch ist die Geschichte der Schwestern Ida Maly und Paula Maly. Ida hat sich sehr stark mit dem weiblichen Rollenbild ausei-nandergesetzt, bei ihr wurde später Schizophrenie diagnostiziert, sie wurde ein Euthanasie-Opfer. Ihre Schwester Paula hingegen war Mitglied der NSDAP und stellte in der NS-Zeit viel aus.

Gibt es einen sichtbaren Unterschied zwischen einem männlichen und einem weiblichen Blick in der bildenden Kunst?
Das ist eine tolle Frage, die ich mir auch gestellt habe und die ich noch gerne erforschen würde.

Kuratorin Gudrun Danzer

 

Ladies First!

Künstlerinnen in und aus
der Steiermark, 1850 bis 1950
Neue Galerie Graz • Joanneumsviertel • 8010 Graz

Die Ausstellung läuft bis 21.02.2021

Kuratiert von Gudrun Danzer und Günther Holler-Schuster

Katalog: 400 Seiten, ca. 550
Abbildungen, Leykam-Verlag Graz
Artikel von: Gudrun Danzer,
Sabine Fellner, Karin Scaria-Braunstein

www.neuegaleriegraz.at