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Lifestyle | 22.02.2020

Sehnsucht nach (Selbst-)Liebe

Von dem Zwang, sich ständig selbst zu optimieren – und der Abhängigkeit von der Liebe anderer. Psychiater Michael Lehofer klärt uns über Selbstliebe auf.

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© Unsplash

Alles Leben strebt nach Liebe. Wir Menschen sind soziale Wesen und als solche abhängig davon, uns zugehörig zu anderen zu fühlen. Diese Zugehörigkeit wollen wir aus tiefster Seele heraus spüren: In Form von Bestätigung, Anerkennung, dem Gefühl des Angekommenseins und der bedingungslosen Freiheit, man selbst sein zu können. Dennoch plagen uns Zweifel, wenn die Liebe bröckelt, die Beziehung zerbricht. Auf einmal sind wir nicht mehr begehrenswert, anziehend, interessant, wichtig und schämen uns für unsere Unfähigkeit, liebenswert zu sein. Wie können wir lernen, unseren Wert nicht von der Zuneigung anderer abhängig zu machen?
Der Grazer Psychiater und Autor Michael Lehofer ist Experte auf dem Gebiet. In seinem Buch „Mit mir sein“ beschreibt er die Selbstliebe als Voraussetzung und Schlüssel für Beziehungen. Wer sich selbst nicht gut leiden kann, wird auch an der Begegnung mit anderen scheitern. Es reicht also nicht, die Selbstliebe einfach an einen anderen Menschen auszulagern: Wenn wir mit uns selbst nicht klarkommen, wirkt sich dies auch auf andere soziale Beziehungen aus. Selbstliebe ist das Empfinden der totalen Nähe zu sich selbst, sagt Lehofer. In seinem Buch „Mit mir sein – Selbstliebe als Basis für Begegnung und Beziehung“ ermutigt er daher, auch mal das Alleinsein zu üben. Nur so könnten wir lernen, uns nicht stets über andere zu definieren – weil wir so uns selbst begegnen. Denn: „Liebe kann man nicht lernen, aber man kann sie entdecken.“ Im Interview klärt er uns über unsere Liebensfähigkeit auf – und warum Zuneigung so wichtig für uns ist.

BURGENLÄNDERIN: Es heißt ja immer, man müsse erst lernen, sich selbst zu lieben, bevor man andere lieben kann. Lehofer: Wenn man von bedingungsloser Liebe spricht, ja. Denn bedingungslose Liebe anerkennt die Verbundenheit, egal ob der andere einen bejaht oder nicht. Daher braucht die Fähigkeit, lieben zu können, grundsätzliche existenzielle Sicherheit, ein Ja zu sich selbst. Dieses Ja zu sich selbst fußt allerdings auf Begegnungen mit liebenden Menschen.
 
Wieso versuchen wir, Liebe stets auszulagern – weshalb streben wir so danach, von anderen geliebt zu werden?
Menschen, die sich selbst nicht bejahen können, sind hungrig nach Selbstbestätigung und sind daher bedürftig, von anderen geliebt zu werden: allerdings ohne die Möglichkeit, jemals von der Liebe satt zu werden.
Kann man süchtig nach Liebe sein?
Nach Liebe kann man nie süchtig werden, aber nach Ersatzgefühlen von Liebe wie Bewunderung, Verliebtheit und Ähnlichem mehr.

Wieso fällt es so schwer, sich selbst zu lieben?
Es fällt einem nur schwer, sich selbst zu lieben, wenn man nicht das Glück liebender Begegnungen in den eigenen primären Beziehungen erfahren hat. Die Zuwendung zu sich selbst ist also die Konsequenz der Erfahrung von Zuwendung anderer. Wenn es so ist, kommt es zu einer Selbstkompetenz – ähnlich wie die Selbstfürsorge die Konsequenz der Fürsorge anderer ist.
 
Sie sagen, Liebe kann man nicht lernen, aber entdecken. Wo findet man Selbstliebe?
Liebe ist Verbundenheit, die man an der Herzensruhe erfahren kann. Die Fähigkeit, sich selbst zu beruhigen, ist ein wichtiger Indikator für Selbstliebe.
 
Kann ich mich jemals so bedingungslos selbst lieben wie eine andere Person?
Da Liebe grundsätzlich bedingungslos ist, kann man sich selbstverständlich selbst genauso lieben wie eine andere Person.
 Wieso streben wir so stark nach der Bestätigung anderer?
Jeder Mensch – auch der Selbstliebende – braucht Anerkennung anderer Menschen. Der Unterschied ist nur, ob diese Sehnsucht nach Anerkennung ein Bedürfnis oder eine Bedürftigkeit darstellt. Die Bedürftigkeit ist der unersättliche Hunger nach existenzieller Bestätigung und hat viele Facetten.

Wie lerne ich, meinen Wert nicht von der Zuneigung anderer abhängig zu machen?
Dazu ist ein langer Reifungsprozess notwendig, letztlich ist es aber auch eine Entscheidung.
Wie verknüpfen Sie Liebe und Freiheit? Können wir je bedingungslos lieben und zugleich völlig frei sein?
Freiheit ist nicht die Freiheit, die uns durch Möglichkeiten gegeben ist, sondern letztlich Freiheit von Ängsten. Durch die Liebe sind wir so geborgen, dass wir keine Angst mehr haben müssen.

 

Psychiater Michael Lehofer © mediendienst.com