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Fashion | 15.03.2021

POWER DRESSING

Dem Luxus individueller Fertigung von Anzügen kann sich selbst Frau nur schwer entziehen. Deshalb fügt Christina Poharec ihren Maßan­fertigungen auch feminine Fasson bei – und maskuline Attitüde bleibt dabei Ausdruck der Emanzipation.

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Schneiderin Christina Poharec kombiniert in ihren Maßanzügen gekonnt maskuline Attitüde mit weiblicher Stärke. © Marija Kanizaj

Sanft lässt Christina Poharec die Schneiderkreide über exklusiven Stoff aus einer der weltbesten Webereien Englands gleiten und überträgt so individuelle Maße einer Frau, die ihre innere Stärke mit einem Anzug bald auch nach außen zeigen will. Dazu passt ein akkurates Revers, Doppelknopfleiste und taillierte Linienführung; Details, die sie ausführlich mit ihrer Kundin vorab besprochen hat und in ihrem Store „Piekfein“ in der Grazer Innenstadt zu einem harmonischen Design zusammenfügt. Schlicht, geradlinig, ausdrucksstark und vor allem individuell. Keine Frau ist eben wie die andere. Und der Hauch Maskulinität setzt dabei modisches Zeichen für den selbstverständlichen Feminismus.

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© Marija Kanizaj

Ja, Mode kann auch politisch. So haben schon Designer wie Michael Kors, der mit Statement-Shirts gegen Hungersnot appellierte, oder Maria Grazia Chiuri, Chefdesignerin bei Dior, mit ihrer Botschaft „We should be all feminists“ auf T-Shirts die Runways der Welt sensibilisiert. Sprachrohr Mode funktioniert und sei es bloß als persönliche Visitenkarte. Marlene Dietrich sei Dank, denn die Schauspielerin trug nämlich erstmalig, was damals Männern vorbehalten war: weite Herrenhosen und Blazer. Und bis heute gilt ihr Kleidungsstil als symbolischer Akt der Befreiung. Den endgültigen Durchbruch des Hosenanzugs für die Dame von Welt verdanken wir aber Yves Saint Laurent, der ihn mit seinen maskulinen Designs auf die internationalen Runways schickte.

 

Der Maßanzug ist Luxus.
Allerdings nicht aus finanzieller Sicht,
die Wertigkeit für die Trägerin
ist der wahre Mehrwert.

Christina Poharec, Schneiderin bei „Piekfein“

 

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Beim „Power-Dressing“ zeigen Frauen ihre Stärke auch äußerlich. © Marija Kanizaj

„Die Mode zeigt auch heute noch eine Gleichstellung, für die schon unsere Großmütter gekämpft haben“, so Poharec. „Eine Frau im Anzug sieht für mich willensstark und zielorientiert aus, ohne dabei ihre weibliche Seite zu verlieren.“ Dass die geschlechtliche Rollenverteilung nicht nur beim Anziehen, sondern schon beim Handwerk selbst beginnen kann, musste Christina Poharec bereits während ihrer Zusammenarbeit mit dem Schneidermeister von Lodenfrey erfahren, bei dem sie das Schneidern von der Pieke auf lernte. Gleich nach dem Kolleg für Modedesign in Graz und der Ausbildung zur Stylistin und Kostümbildnerin in München. „Eine Frau in diesem Business konnte er sich noch nicht wirklich vorstellen.“ Mit ihrer Schneiderfertigkeit konnte die Grazerin beim Meister letztendlich doch noch überzeugen.

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Großkariert durch den Alltag. Mit dem Doppelreiher (Foto oben) aus hochwertigem Stoff aus den angesagten Webereien Englands und Italiens wird der Anzug für die Frau zum Hingucker. Oder soll der klassische Smoking (Foto unten) für weibliche Interessen zweckentfremdet werden?

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Individuelle Unikate. Wenn die Grazer Schneiderin ihre routiniert geführte Hand zum Maßnehmen anlegt und von Schulter über Ellbogen bis hin zur Handwurzel, danach von Hüfte bis zum Beinende gedanklich wie schriftlich eine Silhouette zeichnet, wird schnell klar: Es gibt nur eine passende Kleidergröße – die eigene! Der Unterschied ist fein: handgenähte Knöpfe, exklusiver Stoff, perfekt abgestimmtes Innenfutter und ausgesuchte Zwirne. „Auf Schulterpolsterverarbeitung und Canvas-Einlagen sollte frau verzichten, das macht den Look viel weicher und femininer“, weiß die Schneiderin. „Nur wenige Menschen haben eine Standard-Figur, die von der Stange gut bedient werden kann. Mit kleinen nachträglichen Abänderungen ist es meist nicht getan.“ Der Weg zur Schneidermeisterin werde daher immer öfter gewählt und sorge laut der Grazerin für ein regelrechtes Revival. Immerhin werde bei einem Maßanzug alles berücksichtigt – jedes kleine Detail kann ausgesucht werden, um die Persönlichkeit der Trägerin zu untermalen, alle körperlichen Besonderheiten fließen in die Schnitterstellung mit ein und ergeben letztendlich ein Kleidungsstück, zu dem man einen ganz besonderen Bezug hat.

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Anzieh(ungs)kraft Anzug – maßgefertigt und individuell. © Marija Kanizaj

Klasse hat seinen Wert. Maßgeschneiderte Anzüge als luxuriöser Schnickschnack für die Oberklasse? Nicht ganz. Guter Geschmack hat seinen Preis. Geschicktes Handwerk auch. Beides zusammen soll, ganz klar, auch etwas kosten. „Maßarbeit beginnt bei uns bei 800,– Euro und hat nach oben hin keine Grenzen“, erklärt die Grazerin. Dass ein schlecht sitzender Anzug von der Stange auch schon 1.200,– Euro kosten kann, vergessen die meisten dabei leider. „Der Maßanzug ist Luxus. Allerdings nicht aus finanzieller Sicht, die Wertigkeit für die Trägerin ist der wahre Mehrwert.“
Wie der perfekte Anzug auszusehen hat, bestimmen immer noch Trends und die feine Handschrift der Schneiderin selbst. Dabei setzt Christina Poharec auf das zeitlose „Weniger ist mehr“ und auf Stoffe von höchster Qualität, kombiniert mit einer Passform, die sich dem Körper anpasst und nicht umgekehrt. Trendtipp: „Die Anzug-Trendfarbe 2021 ist Grün und der Nadelstreif kommt groß raus.“

Was noch für den maßgefertigten Damen-Anzug spricht, ist, dass Maßarbeit nachhaltig ist, weil nur das produziert wird, was die Trägerin wirklich benötigt, es gibt keine Überproduktion, keinen Sale und keine überfüllten Warenlager. „Jahrelang haben wir uns anhören müssen, dass sich alles auf Onlinehandel umstellen muss. Dem trotze ich nach wie vor und bekomme viel Zuspruch von Kunden, die die menschliche Komponente in der Beratung zu schätzen wissen“, so die Schneiderin über ihre weibliche Zielgruppe. Diese sei nämlich qualitätsbewusst und habe ein klares Ziel vor Augen. Und der Anzug? Der spielt dabei modisch-feministische Fasson!

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© Marija Kanizaj