Coming out – now or never

Wenn sich Jugendliche outen, ist das für sie selbst und für ihre Eltern eine fordernde Situation. Die STEIRERIN hat mit Jette Musger von der Beratungsstelle „Courage – die Partner*innen-, Familien- & Sexual­beratungsstelle“ über Fragen rund ums Coming-out gesprochen.

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Fragen, die sich Jugendliche stellen

Wie erkläre ich meinen Eltern, dass ich queer bin?
Jette Musger: Das kommt natürlich darauf an, wie die Eltern generell zum Thema Homosexualität o. Ä. stehen. Wer dabei Unterstützung braucht, kann das Coming-out mit „Courage“ gemeinsam in der Beratungsstelle machen, nach einem Einzel-Vorgespräch. Eine andere Möglichkeit ist, dass man die Fakten ein bisschen umschreibt, oder wenn man sich unsicher ist, die Eltern vorab einmal nach ihrer Meinung zur Thematik in unverfänglicher Form befragt. So kann man ein Gefühl dafür bekommen, wie sie dazu stehen und wie die Reaktionen auf ein Coming-out sein könnten. Ganz selten raten wir Jugendlichen aber auch vom Outing ab, etwa wenn sie in einem sehr homophoben Umfeld verankert sind. Dasselbe gilt auch für Erwachsene am Arbeitsplatz. Man muss abwägen, wann ein Outing Sinn macht. Was bei der Vorbereitung auch helfen kann, ist, sich mit Gleichgesinnten zu besprechen. Heute ist es ja online ganz einfach, entsprechende Communitys zu finden und sich zu vernetzen.

Wie gehe ich damit um, wenn meine Eltern auf mein Outing schlecht reagieren?
Als ersten Schritt kann man den Eltern dann vorschlagen, ob sie gemeinsam zu uns in die Beratungsstelle kommen wollen. Wir als Fachpersonen können die Eltern aufklären, dass es wirklich eine Schädigung für Jugendliche sein kann, wenn sie in Bezug auf ihre Sexualität von den Eltern nicht unterstützt werden. In seltenen Fällen muss das Jugendamt informiert und der/die Jugendliche in eine WG transferiert werden. Als Betroffene:r ist es generell am sinnvollsten, die Erfahrungen beraterisch aufzuarbeiten, sich an Freunde zu wenden und sich anderweitig Bestätigung zu holen.

Gibt es einen „richtigen“ Weg oder Zeitpunkt für ein Coming-out?
Nein, das ist ein lebenslanger Prozess. Wir haben auch Menschen in Beratung, die sind 70 und haben jetzt erst den richtigen Zeitpunkt für sich gefunden. Aber zu leben, wer und wie man ist, ist wichtig, und das sollte man auch dürfen. Wenn es drängt, spürt man es, dann ist der richtige Zeitpunkt.

Jette Musger, Koordinatorin der Beratungsstelle Courage. © beigestellt

Fragen, die sich Eltern stellen

Wie kann ich mein queeres Kind am besten unterstützen?
Ein erster Schritt ist, zu Hause schon im Vorhinein ein offenes Klima zu schaffen, in dem neutral bis wertschätzend über andere Lebens- und Liebensweisen gesprochen wird. Die Jugendlichen sollen das Gefühl haben, frei darüber sprechen zu können. Wenn man das Gefühl hat, überfordert zu sein, sollte man dem Kind ermöglichen, sich woanders Unterstützung zu holen, etwa bei unserer Beratungsstelle. Es ist auch möglich, gemeinsam Beratung in Anspruch zu nehmen – telefonisch, persönlich und online. Wir bieten auch Informationen für Eltern, etwa die Broschüre „Anders als erwartet“, mithilfe derer man sich einlesen kann.

Wie reagiere ich richtig, wenn mein Kind sich outet?
Während des Outings selbst sollte man als Elternteil möglichst ruhig, gelassen und bestärkend reagieren. Man sollte die Situation nicht mit Drama aufladen, man muss auch nicht euphorisch sein. Und was bei den Jugendlichen oft nicht so gut ankommt, ist das voyeuristische Nachfragen: „Seit wann weißt du es, hast du eine:n Freund:in?“, usw. Man sollte nicht zu viel nachbohren.

Wie geht man mit den Sorgen um, die man sich aufgrund des Outings als Elternteil vielleicht macht? (Ausgrenzung, Diskriminierung etc.)
Diese Ängste werden bei uns im Rahmen von Elterngesprächen bearbeitet. Man muss sich vor Augen halten, dass Menschen leider aufgrund von vielen Dingen ausgegrenzt werden. Aber unsere Gesellschaft entwickelt sich auch weiter. Die beste Unterstützung ist, wenn Eltern ihren Kindern den Rücken stärken und sie das Gefühl haben, dass sie daheim darüber sprechen können, wenn es wirklich Vorfälle gibt. „Courage“ macht auch viel Aufklärung in den Schulen.

Was, wenn mein Kind dennoch Diskriminierungserfahrungen macht?
Diese können grundsätzlich beraterisch und/oder psychotherapeutisch bei „Courage“ bearbeitet werden. Dort werden auch Strategien erlernt, um (künftig) Kommentaren, Witzen oder Beschimpfungen zu begegnen. Abgesehen davon gibt es unterschiedliche Stellen und Möglichkeiten, die helfen können: die Antidiskriminierungsstelle, die Gleichbehandlungsanwaltschaft oder Gewaltschutzzentren. Bei körperlicher und anhaltender verbaler und/oder psychischer Gewalt sollte Anzeige bei der Polizei gemacht werden.

Wie geht man als Elternteil mit Selbstvorwürfen und dem Wunsch nach Enkelkindern um?
Es gibt keine Studien, die einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Erziehungsstil der Eltern und der späteren sexuellen Orientierung ihrer Kinder belegen. Das Thema Enkelkinder kann auch gut in Elterngesprächen bearbeitet werden. Der eventuelle Wunsch, später als Erwachsene:r keine Kinder zu bekommen, ist ja grundsätzlich von den Eltern zu respektieren, egal ob das aufgrund von Homosexualität oder anderen Umständen geschieht. Und durch die Reproduktionsmedizin oder Adoption gibt es ja mittlerweile auch für Mitglieder der queeren Community Möglichkeiten, Kinder zu bekommen.

Wie kann ich mein Kind mental ­stärken?
Vermitteln Sie, dass es so okay ist, wie es ist. Dass es geliebt und unterstützt wird und dass sich an der Eltern-Kind-Beziehung nichts ändert.

Wie kann ich helfen, wenn mein Kind seine Freunde aufgrund des ­Coming-outs oder des daraus resultierenden Mobbings verliert?
Freunde zu verlieren ist immer schwierig. Wenn dies aufgrund von Diskriminierung passiert, ist das natürlich gerade für Jugendliche aufgrund ihrer erhöhten Vulnerabilität besonders bitter. Dann sollte der Person vermittelt werden, dass es nicht an ihr liegt, dass Menschen so reagieren, wie sie es leider manchmal tun, und gezeigt werden, dass es Menschen gibt, die sich gerne mit ihr befreunden möchten/würden. Das Anbinden an queere Jugendgruppen, wie etwa bei den RosaLila PantherInnen, bietet sich in solchen Fällen an. Wenn das Leiden an den Umständen groß ist, empfiehlt sich immer eine psychotherapeutische/beraterische Unterstützung. Aber in meiner Beratungs-Praxis kommen solche Diskriminierungsfälle zunehmend selten vor, meist ist das Verständnis eher groß.

Courage Graz
Plüddemanngasse 39/1/5 
8010 Graz 
www.courage-beratung.at

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